Proteste am 1. Mai in Hamburg: Keine Wurst, aber Widerstand
Bei zahlreichen Demos in Hamburg bekommt die neue Bundesregierung ihr Fett weg. Auch an den von der Polizei erschossenen Lorenz wird erinnert.

Hier zählte der Deutsche Gewerkschaftsbunds (DGB) am Vormittag rund 9.000 Menschen, die bei bestem Wetter durch den Stadtteil Barmbek zogen, sowie weitere 1.000 bei parallelen Kundgebungen in den Außenbezirken Bergedorf und Harburg.
Auf der Demo in Barmbek, einem Viertel mit langer Arbeiter:innengeschichte, war die Stimmung super. Die Blöcke, von Gewerkschaften, politischen Gruppen und Parteien, standen wahlweise gegen die Aushöhlung von Arbeitnehmer:innenrechten, gegen Aufrüstung, für Sozialismus, zwischendrin paar Pali-Flaggen im internationalistischen Block. Irgendwo sollen auch Bürgermeister Peter Tschentscher, Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD) und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit rumgesprungen sein.
Beobachtet hat die taz zumindest ein versprengtes Grüppchen mit einer kleinen SPD-Fahne, das am Block der Linkspartei vorbeilaufend ein mehrstimmiges „Wer hat uns verraten? – Sozialdemokraten!“ erntete. Klassiker. „Und wer war dabei? Die Grüne Partei!“
Keine Wurst, aber Kritik an der Koalition
Auf der Abschlusskundgebung am Museum der Arbeit um 12 Uhr: Hüpfburg, Bierstand, Bühne. Dann der Schock, nicht nur für den Genossen aus Thüringen: Es gibt keine Bratwurst!
Inhaltlich hatte die Kundgebung mehr Substanz. Hamburgs DGB-Vorsitzende Tanja Chawla begann ihre Rede mit Kritik an der Asylpolitik und zitierte den Schwur von Buchenwald: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“
Dann bekam der Koalitionsvertrag von Union und SPD ordentlich Fett weg, während der vergangene Woche verabschiedete Vertrag der alten und neuen rot-grünen Koalition in Hamburg Lob erntete. „Da steht viel Wichtiges drin“.
Ein paar Kilometer weiter liefen ab Mittag mehrere tausend Menschen unter dem Motto „Superreiche?! Superscheiße!“ mit Glitzer-Fahnen, Seifenblasen und Techno durchs schicke Viertel Winterhude, wo die durchschnittlich sehr wohlhabenden Anwohner*innen zuletzt erfolgreiche eine geplante Unterkunft für queere Geflüchtete verhindert hatten.
Aufgerufen hatte das Bündnis „Wer Hat, Der Gibt“, das im Jahr 2020 als linke Antwort auf die Coronapandemie entstand. Es setzt sich für ein gerechteres Steuersystem und gegen exzessiven Reichtum ein.
Traditionell krawalliger Nachmittag blieb eher ruhig
Der in Hamburg traditionell eher von Bambule, aber auch von Polizeigewalt geprägte Nachmittag wurde 13 Uhr mit dem Start der Demo des anarchistischen Bündnisses „Schwarz-Roter 1. Mai“ eingeläutet. In diesem Jahr liefen mehrere tausend Menschen unter dem Motto „Utopien erkämpfen“ von St. Georg in die Schanze. An der Roten Flora wurden sie mit Feuerwerk begrüßt. 2023 war eine Person bei der Demo von einem Polizisten schwer verletzt worden. In diesem Jahr gab es bis Redaktionsschluss keine größeren Zwischenfälle.
Abschluss des Tages ist die seit 16.30 Uhr laufende „revolutionäre 1. Mai-Demo“, organisiert vom Roten Aufbau und mehreren antiimperialistischen Gruppen wie Young Struggle und Thawra, durch den Osten der Stadt. Sie war in den vergangenen Jahren die linksradikale Demo mit den meisten Teilnehmenden.
Gedenken an den erschossenen Lorenz
In ganz Norddeutschland war dieser erste Mai auch vom Gedenken an Lorenz geprägt, der an Ostern in Oldenburg von der Polizei erschossen wurde. In Hannover und Hamburg begann der 1. Mai schon am Vorabend mit Kundgebungen und Gedenkorten für Lorenz.
In Hamburg folgte die queer-feministische Take back the Night-Demo im Schanzenviertel mit 1.200 Teilnehmenden. Nachdem es 2015 Flaschenwürfe von Mackern auf Menschen in der Demo gegeben hatte, wurden Sexist:innen am Straßenrand in diesem Jahr erfolgreich eingeschüchtert.
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