Protestcamp: "Frank Henkel ist unverschämt"
Die Linie Kreuzbergs, auf Gespräche zu setzen, sei richtig, sagt Grünenpolitiker Wolfgang Wieland.
taz: Herr Wieland, Innensenator Henkel (CDU) behauptet, Kreuzbergs Bürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) habe vor Zuständen kapituliert, die sie selbst zugelassen habe. Wie finden Sie das?
Wolfgang Wieland: Das ist eine Unverschämtheit. Daran, dass die Flüchtlinge in bayerischen Dörfern kaserniert waren, trägt nicht Monika Herrmann Schuld, sondern die CDU/CSU und deren Innenminister – also auch Frank Henkel. Versagt hat die gesamte europäische Flüchtlingspolitik. Henkel lädt den Schwarzen Peter auf Kreuzberg ab, nach der Devise: Das badet ihr mal schön allein aus. Das ist doch absurd.
Henkel droht mit Räumung für den Fall, dass die Schlafzelte auf dem Oranienplatz nicht bis zum 16. Dezember abgebaut sind. Geht das so einfach?
Er müsste die Zuständigkeit für eine Wiese an sich ziehen. Das wäre beispiellos. Ansonsten könnte er nur nach Polizeirecht handeln, das setzt aber eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung voraus. Die müsste er erst mal nachweisen. Über Monate ist es auf dem Oranienplatz friedlich gewesen. Die Situation ist nicht zu vergleichen mit den Dingen, die sich rings um das Occupy-Camp in Frankfurt am Main abgespielt haben.
Verfolgt Monika Herrmann die richtige Strategie?
Sie setzt auf Gespräche. Das ist seit Langem die Kreuzberger Linie. Einige rümpfen darüber die Nase, ich nicht. Es ist in diesem Bezirk immer besser gewesen, Konflikte zu moderieren und einen Interessenausgleich herbeizuführen, als mit brachialen Mitteln wie einer Räumung vorzugehen. Daher meine ich, dass keinerlei Kritik an dem Verhalten von Monika Herrmann berechtigt ist. Sie hat das Camp als Bürgermeisterin vorgefunden …
… als Erbe ihres grünen Vorgängers Franz Schulz.
Kein Grüner hat eine Einladungskarte zu den Flüchtlingen nach Bayern geschickt. Sie sind von sich aus gekommen. Die Grünen haben das Zeltdorf als Protest gegen die falsche Flüchtlingspolitik richtigerweise akzeptiert. Mit den Aktionen sollte politischer Druck ausgeübt werden, insbesondere auf die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD auf Bundesebene. Der Druck ist auch nicht ganz ohne Ergebnis geblieben, wenn man sich nun die Vereinbarungen anguckt.
Inwiefern?
Die Residenzpflicht soll jetzt nur noch innerhalb der Bundesländer gelten. Und die Bundesländer können sich zusammentun und sie untereinander aufheben, so wie es Berlin und Brandenburg machen. Das Arbeits- und Ausbildungsverbot wurde für Asylbewerber und Geduldete auf drei Monate verkürzt.
Was würden Sie Monika Herrmann raten?
Bei ihrer Linie zu bleiben: Überzeugung durch Gespräche. Mehr, als bei den Koalitionsverhandlungen rausgekommen ist, ist politisch derzeit nicht durchsetzbar. Die kalten Temperaturen werden ein Übriges tun, dass niemand mehr in den Zelten übernachtet. Alle, die über Monika Herrmann herfallen, sollen bitte schön sagen, was sie an deren Stelle getan hätten. Hätte man das Camp auf dem Oranienplatz einfach aufgelöst, wären die Zelte anderswo neu aufgebaut worden. Und von der Kirche kann man auch nicht erwarten, dass sie alle aufnimmt.
INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE
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