piwik no script img

Protestbewegung in SerbienStrampeln gegen Präsident Aleksandar Vučić

Rund 80 Studierende radeln von Novi Sad nach Straßburg. Auf ihrem 1.300 Kilometer langen Weg machen sie auch in Wien halt.

Ein Protestradler aus Serbien nach seiner Ankunft in Wien am Montagabend Foto: REUTERS/Elisabeth Mandl

Wien taz | „Pumpaj! Pumpaj!“ schallte es am Montag hundertfach durch Wien. Die Protestparole, mit der Hunderttausende in Serbien auf die Straße gehen, bedeutet nichts anderes, als den Druck gegen die serbische Führung aufrechtzuerhalten. Angeführt von Studierenden wird seit Monaten gegen Korruption, Misswirtschaft und Autoritarismus des seit 12 Jahren durchregierenden serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić protestiert.

Um auf die Proteste aufmerksam zu machen, radelt dieser Tage eine Gruppe von rund 80 serbischen Kollegen 1.300 Kilometer von Novi Sad bis Straßburg, wo das Europäische Parlament seinen Hauptsitz hat. Bei Temperaturen nur wenige Grad über null machten sie auch in Wien halt, wo ihnen die serbische Diaspora den roten Teppich ausgerollt hatte. Bis zu 2.000 Teilnehmer harrten stundenlang auf dem Platz zwischen Ringstraße und Museumsquartier aus, denn die Ankunft der Radler verzögerte sich. Der Stimmung tat das aber keinen Abbruch.

Kurz nach 21 Uhr war es dann endlich so weit. Als der Radlerkonvoi, unter Begleitung der österreichischen Polizei, auf den Platz einbog, kannte die Menge kein Halten mehr. Trommeln, Trillerpfeifen, Megafone und zigfache „Bravo“-Rufe hallten durch die Luft, bevor sich die Radler im Schatten des Maria-Theresien-Denkmals versammelten, vom Rad stiegen und sich von den Protestierenden feiern ließen.

„Es fühlt sich einfach unglaublich an. So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte Ivan Pokornik, einer der Mitfahrenden, etwas später zur taz. Der Empfang in Wien sei der bisher größte gewesen. Seit fünf Monaten steht der Student in vorderster Reihe der Proteste in Belgrad. „Zwei Drittel der Bevölkerung haben wir hinter uns. Die Regierung kann nicht gewinnen und weiß das auch.“ Dass Vučić just an jenem Tag einen neuen Premier ernannt hatte, hatte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfahren. Alle in Serbien wissen jedoch, dass die wahre Macht woanders liegt – bei Vučić selbst.

Keine Kritik

Anders als noch in Budapest, wo Oberbürgermeister Gergely Karácsony die Radler persönlich begrüßt hatte, war in Wien niemand von der Stadtregierung dabei. Eine taz-Anfrage dazu ließ das Büro des Bürgermeisters zunächst unbeantwortet. Ein möglicher Grund ist die anstehende Wiener Landtagswahl Ende April. Schon in der Vergangenheit hatte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) Kritik am serbischen Präsidenten vermieden, wohl deshalb, weil dieser durchaus viele Anhänger in der hiesigen serbischen Diaspora hat. Dabei ist Belgrad, wo die Polizei mit Gewalt gegen die Protestierenden vorging, eine der Partnerstädte von Wien.

Dass die 1.300 Kilometer lange Protestfahrt in Novi Sad ihren Ausgang nahm, ist kein Zufall. Hier war im November das Dach eines frisch renovierten Bahnhofsgebäudes eingestürzt, 16 Menschen kamen ums Leben. Rasch gab es erdrückende Hinweise auf Korruption. Der Einsturz des Vordachs war der Funke, der eine beispiellose Protestwelle entzündete.

„Wir nehmen nicht mehr hin, dass solche Dinge in Serbien passieren“, sagte der 42-jährige Tibor Miklos, der nahe Belgrad lebt und während eines Wien-Besuchs zufällig von der Ankunft der Radler erfahren hatte. Angst vor Repressalien spürt er nicht: „Wenn ich mit meinen Freunden und ihren Familien spreche – niemand fürchtet sich.“

Lange Gedenkminute

Zwar habe die Intensität der Proteste jüngst nachgelassen, „einerseits wegen Sorgen der Eltern um den Schulabschluss ihrer Kinder, andererseits weil der Lehrbetrieb an den Universitäten teilweise wieder aufgenommen wurde“. Miklos ist aber überzeugt, dass die Protestierenden den längeren Atem hätten. Von der EU wünscht er sich jedoch mehr Kritik an der serbischen Führung, die Vučić immer noch stütze.

Nach 16 langen Gedenkminuten für die 16 Opfer von Novi Sad leerte sich der Platz allmählich. Für die Radler steht am Dienstag bereits die nächste Etappe an. Der Zeitplan ist ambitioniert: Bereits für den 15. April ist die Ankunft in Straßburg geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 17. April 2025

Liebe Kommune,

wir machen Osterpause – die Kommentarfunktion bleibt für ein paar Tage geschlossen. Ab dem 22.04.2025 sind wir wieder für euch da und freuen uns auf spannende Diskussionen.

Genießt die Feiertage 🐣🌼
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!