Protestbewegung in Kamerun: Operation Geisterstadt
Generalstreiks und Träume von Unabhängigkeit: Seit Monaten befindet sich der anglophone Landesteil Kameruns im Aufstand.
Alle Leute hätten Angst, die Häuser zu verlassen, berichtet er über die Lage in seiner Heimatstadt. Polizei, Gendarmerie und Militär patrouillieren mal zu Fuß, mal auf Lkws. Seit Beginn der Verhaftungswelle im Dezember sind gut 250 meist junge Leute in den Gefängnissen von Buea oder der Hauptstadt Yaoundé verschwunden.
Der Aufstand im anglofonen Westen Kameruns gegen die französischsprachige Regierung begann im Oktober als Protest von Lehrern und Juristen gegen die Einstellung frankofoner Kollegen in den anglofonen Strukturen. Unter der Oberfläche brodelt Unzufriedenheit mit Präsident Paul Biya, seit 1982 im Amt, schon lange.
Der anglofone Teil Kameruns beklagt Vernachlässigung, Diskriminierung und Polizeiüberwachung. Zunächst ignorierte Biya die Proteste, dann schickte er Polizei und Militär.
Kamerun, ein geteiltes Land
Kamerun entstand 1960 mit der Unabhängigkeit des einst deutschen Französisch-Kameruns und dem Anschluss des zuvor britischen „Southern Cameroons“ per Volksentscheid im darauf folgenden Jahr. Bis heute gibt es für die 20 Prozent der Bevölkerung im Westen der Republik eigene englischsprachige Schulen und Gerichte und eine eigene Rechtsprechung, die auf dem britischen Common Law basiert.
Aber Kameruns Zentralstaat spricht zumeist Französisch; dafür ist die kritische Opposition überwiegend englischsprachig.
1999 rief der gewaltfreie sezessionistische „Southern Cameroons National Council“ (SCNC) die Unabhängigkeit des ehemals britischen Gebiets unter dem Namen „Ambazonia“ aus. Als letztes Jahr die Proteste begannen, machte der imaginäre Staat schnell die Runde auf Facebook und Whatsapp.
„Es gibt sogar eine Fahne und eine Botschaft in Deutschland!“, erzählte die junge Designerin Marie im Nachbarland Nigeria im Oktober ganz begeistert.
Zeitgleich begann der SCNC mit einer Unterschriftensammlung für ein Unabhängigkeitsreferendum. Damit geriet der gesamte Protest in den Ruch, Kamerun aufteilen zu wollen. „Unabhängigkeit ist ein Tabuthema“, erklärt Student James per Telefon aus seinem Versteck. Seit der SCNC verboten sei, werde auch jede Bezugnahme auf das Thema verfolgt.
Gegen „Ambazonia“ wird geschossen
Ambazonia sei ein Traum der Auslandskameruner, aber alle in der Region wollten die Unabhängigkeit, sagen Angehörige der anglofonen kamerunischen Diaspora.
In Kamerun selbst sei davon aber keine Rede, sagen Anglofone in Kameruns Hauptstadt Yaoundé. Die frankofonen Medien berichteten lediglich von Streiks, dass Verhandlungen laufen und es eine Lösung geben werde.
Aber im Dezember schoss die Polizei erstmals scharf, vier Demonstranten starben. Im Internet kursieren seitdem Videos von Sicherheitskräften, die junge Männer in Studentenwohnheimen misshandeln. „Sie töten unsere Leute“, heißt es im Netz. Mütter schickten ihre Söhne nach Nigeria und forderten Verhandlungen.
Gesprächspartner der Regierung ist der anglofone Dachverband Cameroon Anglophone Civil Society Consortium (CACSC). Er fordert keine Unabhängigkeit, sondern die Rückkehr zum 1974 abgeschafften föderalen System in Kamerun.
Ihre Anhänger schwört CACSC auf gewaltlosen Widerstand und die „Operation Geisterstadt“ ein – ein Generalstreik jede Woche montags und dienstags.
Zivilgesellschaft wird verfolgt
Am 17. Januar reichte es der Regierung. Das Internet in der Region wurde abgestellt. Felix Agbor Nkongho und Fontem Neba, Präsident und Vize des CACSC, wurden verhaftet und wegen Terrorismus angeklagt. Darauf steht die Todesstrafe. Seitdem steuern Exilkameruner über Facebook die Aktionen. Unabhängigkeit ist jetzt wieder die zentrale Forderung.
Die „Operation Geisterstadt“ geht weiter, auch diese Woche. Zu Hause bleiben ist die Devise. Es kursieren Bilder von leeren Straßen und Märkten.
„Unsere Unabhängigkeitskämpfer sorgen dafür, dass niemand zur Schule geht und keiner seinen Laden öffnet“, heißt es aus Bamenda. Selbst Händler aus Nigeria bleiben an Geistertagen fern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus