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Protest von Geflüchteten in BerlinKüchen statt Fertigfraß

11.000 Flüchtlinge leben noch in Notunterkünften, wo sie nicht selber kochen können, sondern Fertigmahlzeiten bekommen. Dagegen regt sich Protest.

Sieht nicht lecker aus, ist es auch nicht: Fertigessen nach deutscher Art Foto: dpa

Im ehemaligen Rathaus Wilmersdorf schlafen Flüchtlinge nachts vor dem Wohnheim – statt darin. In einer Unterkunft in Marzahn treten sie in einen Hungerstreik. Bewohnerinnen der Frauenunterkunft im ehemaligen Rathaus Friedenau schrei­ben offene Briefe an die Behörden. Immer wieder gab es in den letzten Monaten solche Meldungen über Proteste von Flüchtlingen. Zentraler Kritikpunkt: das Fertigessen, das sie statt Bargeld bekommen.

Unter Rot-Rot-Grün wurden 33 Notunterkünfte, darunter alle noch belegten Turnhallen, frei gezogen. Das steht auf der Habenseite des neuen Senats. Aber noch immer müssen knapp 11.000 Flüchtlinge in 40 Notunterkünften wohnen. Und in fast keiner dieser Unterkünfte gibt es Küchen, in denen man selbst Essen zubereiten kann.

Also bekommen die Bewohner dreimal pro Tag Fertigessen: pappiges Weißbrot mit Käse zum Frühstück beispielsweise, Kartoffeln mit Kräuterquark am Mittag und abends zwei Schnitten Brot mit Aufschnitt und Wassertomate. Viele Menschen sind sei einem Jahr und länger auf solches Essen angewiesen.

Hans-Jürgen Kuhn ist freiwilliger Helfer im ehemaligen Rathaus Friedenau. Er kann den Protest der Bewohnerinnen verstehen: „Wenn man länger als ein Jahr geliefertes, eingeschweißtes Essen erhält, dann ist jedes Essen schlecht.“

Eine Erfahrung, die auch die Senatsverwaltung für Soziales macht. Sprecherin Karin Rietz meint, die Beschwerden über das Essen lägen meist nicht an der Essensqualität, „sondern daran, dass die Menschen zum einen das ihnen vertraute Essen und die vertrauten Gewürze vermissen und zum anderen kein Kantinenessen mehr wollen“.

Rietz verweist darauf, dass der Betreiber der Hangars im ehemaligen Flughafen Tempelhof „die Akzeptanz seines Essens erheblich verbessern“ konnte, als er einen arabischen Koch angestellt hatte, der mit entsprechenden Gewürzen arbeitete. Ein Schritt in die richtige Richtung – aber dennoch keine Lösung.

Mobile Küchen einrichten?

Der Mensch muss vor der Verwaltung kommen

Canan Bayram, Grünen-Abgeordnete

„Die Grenzen der Zumutbarkeit sind längst überschritten“, sagt Martina Mauer vom Flüchtlingsrat. „Niemand kann auf Dauer die diskriminierende und entmündigende Vollverpflegung aushalten.“ Sie schlägt vor, bis zur Schließung der Notunterkünfte mobile Küchen neben den Heimen zu errichten. Zudem sollte die Nutzung von Küchen in umliegenden Gemeindehäusern, Schulen und anderen Gebäuden geprüft werden.

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Katina Schubert, findet den Vorschlag „innovativ“. Die Realisierbarkeit sollten aber Fachleute prüfen, sagt sie. Die Sozialverwaltung dagegen urteilt, dem Vorschlag fehle die „Praktikabilität und Eignung für den Betrieb von Notunterkünften“. Warum, ist nicht so recht klar. Aber so steht es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.

Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) und ihre Verwaltung sehen drei Wege aus der Misere: Erstens sollen Flüchtlinge eigene Wohnungen erhalten. Dazu hat der Rat der Bürgermeister im Mai den Weg freigemacht, indem Flüchtlingen mit Asylstatus nun ein Wohnberechtigungsschein zusteht. Wegen Mangels an preiswerten Wohnungen können allerdings nur wenige davon profitieren. Zweitens entstehen neue Unterkünfte. Und drittens werden Notunterkünfte zu Gemeinschaftsunterkünften mit Küchen umgebaut.

Das ist auch im früheren Rathaus Friedenau geplant. Eigentlich sollte in dem Bürogebäude längst gebaut werden, sagt die zuständige Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD). Die Vorplanungen seien abgeschlossen. Das Problem: Baufirmen in Berlin haben volle Auftragsbücher, sodass die Ausschreibung kaum auf Resonanz gestoßen sei und vermutlich wiederholt werden müsse. Schöttler zufolge ist das kein Einzelfall.

Auch beim Bau neuer Unterkünfte gibt es weiterhin Probleme. Linken-Politikerin Schubert weist auf Verzögerungen bei den „Tempohomes“ genannten Containersiedlungen hin. Die Blechbuden dürfen laut Hersteller nur drei Jahre lang stehen, weil sie dann verschleißen.

Trister Ausblick, ödes Essen: Alltag vieler Geflüchteter in Berlin Foto: dpa

Schubert: „Es war eine falsche Entscheidung der alten Landesregierung, auf Tempo­homes zu setzen. Bei der Herstellung der Container gibt es viel Pfusch am Bau. Es sind oft Nacharbeiten nötig. Und der Aufbau dauert länger als gedacht, sodass die Realisierung der Planung hinterherhinkt.“ Dennoch könne man an dieser alten Planung nicht mehr viel ändern, so Schubert. „Rot-Rot-Grün hat keine neuen Container mehr geordert, muss die bestellten aber abnehmen.“

Vor diesem Hintergrund erscheint das Vorhaben von Sozialsenatorin Breitenbach, bis Jahresende alle Notunterkünfte zu schließen, zumindest verwegen. Nach aktueller Planung des Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten sollen bis Ende September 4.500 Plätze in neuen Gemeinschaftsunterkünften mit Küchen fertig sein. Somit bleiben 6.500 Flüchtlinge, die vielleicht erst Ende Dezember aus ihrer Notunterkunft rauskommen, wenn überhaupt. Was weitere Monate Warten bedeutet.

Dabei gäbe es etwa im Fall des ehemaligen Rathauses Friedenau tatsächlich eine Küche in der Nachbarschaft, wie sie der Flüchtlingsrat anregt. Theoretisch. Praktisch fehlt den Frauen allerdings das Geld zum Einkaufen. Denn Essensgeld bekommen nicht sie selbst, sondern der Caterer ihrer Unterkunft. Laut einer Weisung des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten gilt das für alle Bewohner in Notunterkünften ohne Unterschied.

Auch für den Iraner Reza H., der einen Minijob in einer Hotelküche hat und dort an Arbeitstagen kostenlos essen kann. Er würde sich sein Verpflegungsgeld gern auszahlen lassen, erzählt er, und sich an seinen freien Tagen kalt oder am Imbiss verpflegen. Das geht nicht, argumentiert ein Heimleiter, der nicht genannt werden will. Es sei zu viel Verwaltungsaufwand für den Betreiber, wenn der eine Flüchtling Essen vom Caterer erhalte und der andere stattdessen Bargeld.

Das Argument macht die grüne Abgeordnete Canan Bayram richtig wütend. Sie fordert: „Der Spieß muss umgedreht werden: Der Mensch muss vor der Verwaltung kommen und nicht die Verwaltungsvereinfachung vor den Menschen.“

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