Protest gegen neue Börsenregeln: Atom und Klimakiller weiter im Dax
Nach dem Wirecard-Skandal gibt sich die Deutsche Börse neue Regeln für ihre Aktienindizes. NGOs sehen darin einen „Rückschritt für Menschenrechte“.
Anlass für die Neujustierung der Aktienindizes DAX, MDAX, SDAX und TechDAX sind der Wirecard-Skandal, bei dem auch Kleinanleger viel Geld verloren haben, und auch die im Vergleich unterentwickelte Aktienkultur in Deutschland.
Der 1988 gegründete DAX wird von vier althergebrachten Branchen dominiert: Chemie, Autoindustrie, Energie, Finanzdienstleistungen. Problem: Gerät einer dieser Sektoren unter Druck – wie zuletzt die Autobauer –, geht der gesamte Index in den Keller. Um den DAX repräsentativer zu machen, sollen deshalb ab September 2021 40 statt 30 Konzerne in der ersten Börsenliga mitspielen. Dafür wird der MDAX der mittelgroßen Werte wieder von 60 auf 50 Firmen geschrumpft.
Neu aufnehmen will die Börse künftig nur noch profitable Unternehmen. Pleitekandidaten und Konzerne, die keine Zwischenberichte veröffentlichen, bleiben draußen. Problem: Delivery Hero. Der Essenslieferant ersetzte Mitte August den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard. Delivery Hero hat seit seiner Gründung 2011 noch nie Geld verdient, darf aber bleiben. Denn die neue Regel gilt nicht für bestehende DAX-Teilnehmer.
Dax „kein Einfallstor für gesellschaftspolitische Debatten“
Nachhaltigkeitskriterien stärker einzubeziehen wurde von den für die Umstrukturierung befragten 600 Börsianern diskutiert – und verworfen. So sollen Konzerne, die fossil erzeugte Energie verkaufen, bleiben dürfen. Das Dax-Regelwerk dürfe „kein Einfallstor für gesellschaftspolitische Debatten und Meinungen werden“, betont das Deutsche Aktieninstitut in seiner Stellungnahme.
Die Dax-Familie solle Anlegern „eine konzentrierte Information über die Entwicklung des gesamten Aktienmarktes“ geben. „Dazu gehört es nicht, die Geschäftsmodelle der Indexmitglieder vor dem Hintergrund gesellschaftspolitischer Debatten zu bewerten und gegebenenfalls auszuschließen.“
So fiel der Vorschlag durch, Firmen auszuschließen, die mehr als 10 Prozent ihres Umsatzes mit „umstrittenen Waffen“ machen. Dies wäre für den im MDAX notierten Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus zum Problem geworden. Eine Tochterfirma liefert Trägerraketen für französische Atomsprengkörper.
„Was soll unmoralisch daran sein, Waffen für die Polizei und die Bundeswehr und entsprechende Kunden in EU, Nato und anderen vergleichbaren Ländern herzustellen?“, fragt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie bei tagesschau.de.
„Deutliche qualitative Verbesserung“
Der von der Börse gewählte deutsche Begriff „kontroverse Waffen“ sei unscharf – anders als in den USA und Großbritannien. Dort seien mit „controversial weapons“ klar jene Waffen definiert, die unter ein UN-Embargo fallen, zum Beispiel Chemiewaffen und Streumunition.
Die neuen Regeln seien eine „deutliche qualitative Verbesserung“, sagte Ingo Speich von der Deka Bank: „Ein breiterer DAX bedeutet auch mehr Streuung und damit mehr Stabilität.“ Egal „ob der DAX 30 oder 40 Werte enthält – Privatanleger sollten sich besser an andere, breiter streuende Indizes halten“, riet dagegen die Sutor Bank.
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