Protest gegen Stuttgart 21: Besuch vom Staatsanwalt
Polizei und Staatsanwaltschaft beschlagnahmen Filmmaterial von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21. Grund: Die Aufklärung einer Schlägerei.
BERLIN taz | Die Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft Stuttgart haben am Donnerstag Bild- und Videomaterial von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 beschlagnahmt. Die Unterlagen stehen im Zusammenhang mit dem Angriff auf einen Polizisten am 20. Juni während einer Protestaktion, wie die Behörden mitteilten. Am Morgen waren die Ermittler zu Durchsuchungen der Räume der Parkschützer-Initiative und der Wohnung des Sprechers der Initiative, Matthias von Herrmann, aufgebrochen. Von Herrmann habe die Unterlagen aber freiwillig herausgegeben, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.
Am 20. Juni hatten Demonstranten eine Baustelle des Bahnprojekts gestürmt und rund fünf Stunden besetzt. Dabei war nach Angaben der Polizei und der Bahn ein Sachschaden von etwa 1,5 Millionen Euro entstanden. Ein Zivilbeamter war laut Polizei durch Schläge und Tritte an Kopf und Hals verletzt worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und versuchten schweren Raubes.
Die Deutsche Bahn AG plant, den Stuttgarter Hauptbahnhof - einen Kopfbahnhof - in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zu verwandeln. Ein breites Bündnis von Stuttgarter Initiativen, eine davon sind die Parkschützer, lehnt dieses Milliardenprojekt als zu teuer und verkehrspolitisch nutzlos ab. Für Samstagnachmittag - ab 14.30 Uhr am Hauptbahnhof - rufen sie erneut zu einer Großdemonstration gegen das Projekt auf.
Will die Polizei Protestierende kriminalisieren?
Die Hausdurchsuchungsandrohung der Ermittler am Donnerstag steht im Zusammenhang mit einer Pressekonferenz der Parkschützer vor rund zwei Wochen. Dabei sei Bildmaterial vorgeführt worden, das den Angriff auf den Polizisten zeigen solle, teilte die Polizei mit. Entgegen ersten Zusagen sei das Filmmaterial aber nicht zur Verfügung gestellt worden. Dabei seien Durchsuchungsmaßnahmen nötig geworden.
"Die Behörden versuchen, uns etwas anzuhängen und den Widerstand zu schwächen", sagte der Sprecher der Parkschützer, Matthias von Herrmann, der taz. Die Behörden hätten das gesuchte Material längst im Internet finden können. "Wir haben ein großes Interesse an der Veröffentlichung des Materials, denn es zeigt, dass die Darstellung der Polizei zum Verlauf des 20. Juli schlicht falsch ist." Statt die unselige Rolle ihrer Zivilpolizisten aufzuklären, die teilweise als Provokateure auftreten würden, versuche die Polizei nun, die Protestierenden zu kriminalisieren. Für Donnerstagabend riefen die Parkschützer zur spontanen Protestaktion vor dem Stuttgarter Innenministerium auf, das von Reinhold Gall (SPD) geleitet wird, der das Projekt S 21befürwortet.
Die Grünen, die Stuttgart 21 ablehnen und mit der SPD in Baden-Württemberg regieren, wollen nun mit Innenminister Gall ins Gespräch über die Polizeiaktionen kommen. Eine gezielte Kriminalisierung der Parkschützer sehen sie nicht. "Dazu liegen uns keine Anhaltspunkte vor", sagte Uli Sckerl, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Landtagsfrakion, der taz. "Das entspräche ausdrücklich nicht dem Leitbild des neuen Stuttgarter Polizeipräsidenten." Die Vorgänge am 20. Juni sieht Sckerl kritisch. "Wir lehnen Protestaktionen, bei denen es zu körperlichen Übergriffen und Sachbeschädigungen kommt, entschieden ab."
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