Protest gegen Neubau-Pläne: Bürgeraufstand gegen die Kohlekraft
Volksinitiativen, Volksbegehren, Volksentscheide: Weil Energiekonzerne neue Kohlekraftwerke bauen wollen, entdecken die Deutschen alte Mittel der Demokratie wieder.
"Kohlefreies Mainz" heißt eine Bürgerinitiative in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt. Am Rheinufer soll ein neues Kohlekraftwerk gebaut werden, das täglich 5.000 Tonnen Steinkohle verfeuern soll. Dagegen wehren sich die Bürger: Heute endet die Einspruchsfrist für das Genehmigungsverfahren laut Bundes-Immissionsschutz-Gesetz. "Wir werden mindestens 20.000 Einwendungen bei der Genehmigungsbehörde einreichen", sagt Stefan Becker von der Bürgerinitiative. Zwar stellt das Verfahren in Mainz bereits einen Baustein auf dem Weg zum Kraftwerk dar. "Wir hoffen aber, dass der Bürgerwille so einen Druck auf die Politik erzeugt, dass sie das Projekt fallen lässt", sagt Becker.
Anderswo ist man da weiter: In Schwerin startete in dieser Woche eine Volksinitiative gegen den geplanten Bau eines Steinkohlekraftwerks im vorpommerschen Lubmin bei Greifswald. Der dänische Staatskonzern Dong will dort ein 1.600-Megawatt-Kraftwerk errichten, das 2012 ans Netz gehen soll, ein Kraftwerk, das er in Dänemark nicht mehr genehmigt bekäme. Ziel der Initiative sei, die breite Ablehnung des Kraftwerks durch die Bevölkerung deutlich zu machen, so die Initiatoren - und zwar bevor ein Genehmigungsverfahren beginnt. Zunächst seien 15.000 Unterschriften erforderlich, damit sich der Landtag mit dem Projekt befasst - und die Landesregierung beauftragt, alle geeigneten Möglichkeiten zu nutzen, den Bau zu stoppen.
Vom BUND bis zur Grünen Liga, von der Linken bis zur SPD - die Bürgerinitiative "Kein Kohlekraftwerk Lubmin" wird breit unterstützt. "Das Kraftwerk wird die erzielten Erfolge im Klimaschutz im Land zunichtemachen", urteilt etwa Wolfgang Methling (Linke), der früher einmal Umweltminister Mecklenburg-Vorpommerns war. Und der ehemalige Schweriner Landtagspräsident Hinrich Kuessner (SPD) sagt: "Politiker dürfen in Fragen des Umweltschutzes keine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung machen."
Von Mainz bis nach Usedom: Nie wurde so viel Bürgerwille in Sachen Klimaschutz in Deutschland registriert wie derzeit. In Brandenburg sammelt ein Bündnis Unterschriften zur Volksinitiative "Keine neuen Tagebaue". In Hamburg wurde gerade die Volkspetition gegen des geplante 1.680-Megawatt-Kohlekraftwerk für gültig erklärt - nachdem sie die CDU zunächst zu ignorieren versuchte. Das Saarland hat seit 1979 keinen richtigen Volksentscheid mehr erlebt. Im November letzten Jahres aber entschieden die Bürger von Ensdorf darüber, ob der Konzern RWE ein Kohle-Großkraftwerk bauen darf. Grundlage für den Bau wäre eine Änderung des Flächennutzungsplans der Gemeinde gewesen. 70 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Der so genannte "Volksbegehrensbericht" des Vereins Mehr Demokratie hatte bereits für das Jahr 2006 ein steigendes Engagement auf lokaler Ebene registriert. So seien auf Landesebene doppelt so viele Volksbegehren eingeleitet worden wie noch 2005. Bundesweit waren es 19. Auch die Erfolgsquote der direkten Demokratie steigt nach Ansicht des Vereins. Dabei müsse es oft gar nicht zum eigentlichen Volksentscheid kommen. Häufig entschied das jeweilige Landesparlament bereits im Sinne des Volksbegehrens, wenn sich ein positiver Entscheid andeutete.
Zwar liegt der Bericht für das Jahr 2007 noch nicht vor. Die Tendenz dürfte aber deutlich nach oben gehen: In Leipzig hatten die Bürger den Verkauf der Stadtwerke per Bürgerentscheid gestoppt. In Berlin wurde das Volksbegehren zum Weiterbetrieb des Flughafen Tempelhofs eingeleitet.
Für das am Donnerstag die Frist endete: Nach vier Monaten hatten sich knapp 190.000 BerlinerInnen für eine Volksabstimmung ausgesprochen. Damit ist das notwendige Quorum - 7 Prozent der Wahlberechtigten - um 20.000 Unterschriften überschritten. Bedeutet: Der Volksentscheid über die Zukunft des Flughafens wäre beschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid