Protest gegen Neonazis untersagt: "Ein skandalöses Urteil"
Die militanten Kameradschaften dürfen in Bad Nenndorf marschieren – die Gegendemonstranten sollen zu Haus bleiben. Für die Neonazis dürfte das mobilisierend wirken.
Die militanten Kameradschaften dürfen in Bad Nenndorf in Niedersachsen aufmarschieren – die Gegendemonstranten aber sollen zu Haus bleiben. Am Mittwoch war vor Gericht über die Auflagen (siehe auch: "Schwarze Kleidung: unerwünscht") verhandelt worden, Neonazis und Gegenbündnis legten Einspruch ein, danach verbot der Landkreis beide Veranstaltungen. Auch hiergegen wehrten sich beide Gruppen.
Donnerstagabend dann eine weitere Gerichtsentscheidung: Den Trauermarsch "Für die Opfer alliierter Kriegs- und Nachkriegsverbrechen – Gemeinsam und entschlossen gegen die Lüge der Befreiung" ließ das Verwaltungsgericht Hannover zu. Den Eilantrag gegen das Verbot der Gegendemonstration des bürgernahen Bündnisses "Bad Nenndorf ist bunt" lehnte das Gericht hingegen ab.
"Ein skandalöses Urteil", sagt der DGB-Regionalvorsitzende, Sebastian Wertmüller, "Wir werden Rechtsmittel einlegen". Der Eilantrag liege bereits beim Oberverwaltungsgericht, bis Samstagmorgen wird mit einer Entscheidung gerechnet. Wenn ein Vollverbot bestehen bleibe, werde der DGB bis zum Bundesverfassungsgericht ziehen.
"In der offenen Tradition der SA"
Die Neonazis marschieren inzwischen seit 2006 zum Bad Nenndorfer Wincklerbad. Hier hatte die britische Armee von 1945 bis 1947 ein Internierungslager eingerichtet, in dem auch Mitglieder von NSDAP und Waffen-SS inhaftiert waren. In der Haft kam es zu Misshandlungen. Nachdem die Vorfälle bekannt wurden, schritten die britischen Behörden ein, die Verantwortlichen kamen vor Gericht.
Denn: "Ein Aufzug in der offenen Tradition der SA, durchgeführt von militanten Rechtsextremen, wird nicht verboten. Der bürgerliche Gegenprotest wird aufgrund ominöser Gefahrenprognosen von Polizei und Verfassungsschutz untersagt". Wertmüller mag auch nicht glauben, das "den Feinden der Demokratie das Erstanmelderecht" zugestanden wird.
Der Apotheker Jürgen Übel ist Mitbegründer des Bündnisses, das seit Jahren versucht, in der Kurstadt mit vielfältigen Aktionen einen kreativen Protest aus der Mitte der Gesellschaft gegen den alljährlichen "Trauermarsch" der Neonazis zu etablieren.
"Braune Wölfe im Schafpelz"
"Diese Entscheidung wirft alle Bemühungen zurück. Das ist ein Ohrfeige für alle Demokraten" so Übel. Bernd Reese, Bad Nenndorfer Samtgemeindedirektor, ist angesichts der Entscheidung „fassungslos". Fassungslosigkeit auch bei Übel: "In Bad Nenndorf marschieren braune Wölfe im Schafpelz".
All das ist keine rhetorische Zuspitzung. In der Region Schaumburg westlich von Hannover haben Anhänger der Kameradschaftsszene immer wieder Jugendliche angegriffen, die sich gegen Nazis engagierten – sogar direkt vor deren Wohnungstüren. Aus einem Aufmarsch heraus schlug einer der führenden Neonazi-Kader mit einen Holzschild auf einen Gegendemonstranten ein, verletzte ihn am Kopf schwer. Diese Situation veränderte sich erst, nachdem die Neonazi-Kader auch wegen Körperverletzung inhaftiert wurden, mittlerweile sind sie aber aus der Haft und in der Szene wieder aktiv.
Das Gericht folgte dem Landkreis am Mittwoch insoweit, als dass es betonte, für den 14. August sei "offenkundig deutlich mehr gewalttätiges Potential aus der linksautonomen Spektrum zu erwarten".
Fast wortgleiche Auflagen
Der Landkreis Schaumburg hatte beide Veranstaltungen mit fast wortgleichen Auflagen belegt – unter anderen zur Bekleidung der Teilnehmer. Wegen dieser besonders harten Auflagen legten sowohl das "Gedenkbündnis" um die Neonazis Sven Skoda und Marcus Winter wie auch der DGB für das Gegenbündnis Einspruch ein – mit Erfolg. Daraufhin sprach der Landkreis, nach erneuter Beratung mit der Polizei, die Verbote aus.
Die Polizei hätte nicht genug Kräfte, so die Ordnungsdezernentin Ursula Müller-Kratz zur taz: "Nach Polizeierkenntnissen wäre mit über 250 gewaltbereiten autonomen Nationalisten und etwa 500 gewaltbereiten Linksextremen zu rechen". Mit dem Verbot der linken Gegenproteste hätte die Polizei nun aber genügend Kräfte, um den Neonazi-Marsch zu betreuen. Relevant für die Gerichtsentscheidung war, dass die Neonazis ihre Veranstaltung zuerst angemeldet hatten.
Gegenproteste "unter Generalverdacht gestellt"
Der Landkreis bereitet jetzt eine Beschwerdeschrift gegen dem Neonazimarsch vor. Ordnungsdezernentin Müller-Kratz begründet gegenüber der taz: "Wenn der Trauermarsch stattfindet, werden Gegendemonstranten kommen". Die Ordnungsdezernentin nannte mehrmals als Argument, dass der DGB sich nicht von den Linksextremen distanziert hätte. Dem entgegnet Bündnis-Mitglied Übel: "Wir haben immer zu friedlichem Protest aufgerufen" und vermutet, die Gegenproteste würden "unter Generalverdacht gestellt".
Die Entscheidungen wirken sich aus. Das Kulturprogramm des Bündnisses kann nicht mehr vorbereitet werden, Der Sportverein "VfL Bad Nenndorf" hat seine Fest gegen Rechts abgesagt. Aus Angst. Die Organisatoren des “Trauermarsches” feiern die jüngsten Entwicklungen als Erfolg. Er dürfte für die Szene mobilisierend wirken.
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