Protest der Pflegebranche in Berlin: Keine Kraft mehr
Zum Tag der Pflegenden haben Beschäftigte von Vivantes und Charité den Arbeitskampf organisiert. Sie fordern mehr Personal – und drohen mit Streik.
Zum Auftakt soll am Mittwoch um 16 Uhr vor dem Roten Rathaus eine Unterstützungspetition an den Senat übergeben werden. Darin solidarisiert sich die Mehrheit der Beschäftigten einer jeden Station der Krankenhäuser mit den Forderungen der Bewegung. Die Übergabe gibt auch den Startschuss für ein an Klinikleitungen und Senat gestelltes Ultimatum: 100 Tage haben sie Zeit, den Forderungen der Beschäftigten nachzukommen. Geschieht das nicht, droht wenige Wochen vor den Wahlen des Abgeordnetenhauses ein Streik in den beiden größten Berliner Krankenhäusern.
Konkret will die Krankenhaus-Bewegung einen „Tarifvertrag Entlastung“ für die Pflegekräfte erreichen. Dieser zielt auf die Vermeidung von Schichtunterbesetzungen ab. Im Vertrag würden Mindestbesetzungen für jede Station definiert. Werden diese unterschritten, würde das künftig durch das Dienstprogramm vollautomatisch erfasst. Pflegekräften, die in Unterbesetzung gearbeitet haben, würde ein „Belastungsausgleich“ in Freizeit oder Geld gutgeschrieben. Dieser würde sich schrittweise erhöhen, sodass der Druck auf die Klinikleitungen, mehr Personal einzustellen, kontinuierlich ansteigt.
Charité nicht ganz abgeneigt
Zweitens will die Bewegung auch für die Angestellten der Vivantes-Tochterfirmen eine Bezahlung nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TvöD) durchsetzen. Durch die Auslagerung von Arbeiten auf formal von Vivantes getrennte Tochterunternehmen würden Personalkosten „auf dem Rücken der Beschäftigten“ eingespart. Wie die Bewegung vorrechnet, handele es sich keineswegs um marginale Unterschiede: Nach TvöD bezahlt, würde etwa das Gehalt einer seit sieben Jahren bei der Firma Vivaclean angestellten Reinigungskraft um ganze 830 Euro monatlich steigen.
Zumindest die Charité zeigt sich gegenüber den Forderungen nicht gänzlich abgeneigt. Auf taz-Nachfrage schreibt Pressesprecher Markus Heggen, man werde sich „intensiv“ mit Forderungen der Belegschaft auseinandersetzen. Diese müssten jedoch „die Strukturen der Pflege an der Charité“ reflektieren.
Deutlicher wurde dagegen Dorothea Schmidt, Geschäftsführerin für Personal bei Vivantes, am Dienstag: Die Forderungen seien „sowohl rechtlich als auch inhaltlich der falsche Weg“. Dem kommunalen Krankenhauskonzern sei es schon „formal untersagt, eigenständige Verhandlungen zu führen“. Hintergrund ist ein Beschluss der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), nach dem Tarifverhandlungen nur für alle kommunalen Krankenhäuser gemeinsam möglich sind.
„Wir erleben eine Berufsflucht“
Meike Jäger, Verdi-Landesfachbereichsleiterin für Gesundheit und Soziales, widerspricht: „Es ist das gute Recht der VKA, Beschlüsse zu fassen – doch auch die Beschäftigten haben etwas beschlossen: Wir wollen verhandeln“, sagte sie der taz. Dies sei ein Fakt, mit dem die Krankenhausleitungen umgehen müssten.
Für Dorothea Schmidt von Vivantes wären die Verdi-Forderungen „nur umsetzbar, indem weniger Patient:innen behandelt werden“. Ein Tarifvertrag Entlastung hätte also eine „deutliche Einschränkung der Versorgungskapazitäten“ zur Folge. Die Intensivpflegekraft Jeannine Sturm sieht hierin „emotionale Erpressung“. Nicht die Verdi-Forderungen, sondern die Unterbesetzungen würden „Patient:innen lebensgefährlich bedrohen“.
Auch Jäger weist das Argument der mangelnden Fachkräfte zurück. „Wir erleben keinen Fachkräftemangel, sondern eine Berufsflucht“, sagte sie der taz. Tatsächlich kam etwa eine Studie der Arbeitnehmerkammer Bremen, auf die auch die Krankenhausbewegung hinweist, zu dem Schluss, dass die bundesweit fehlenden Pflegestellen ausgeglichen werden könnten – wenn sich die Arbeitsbedingungen verbesserten.
Die Ökonomisierung des Gesundheitssystems
Schließlich hätten die Verdi-Forderungen laut Eibo Krahmer, Geschäftsführer unter anderem für Finanzen bei Vivantes, Mehrkosten „in Höhe von rund 35 Millionen Euro“ jährlich zur Folge. Vivantes schreibe aber bereits jetzt rote Zahlen. Müsste in allen Tochterunternehmen nach TvöD bezahlt werden, sei deren „Zukunft unmittelbar infrage gestellt“. Insbesondere betreffe dies die „Tochtergesellschaft Labor Berlin mit rund 430 eigenen Mitarbeitenden“.
Jäger kann den „Druck“ durchaus verstehen, den der „Profitzwang“ auf die Klinikleitungen ausübe. Das Problem sei die Ökonomisierung des Gesundheitssystems. Gefragt ist am Ende also auch die Politik: Zwar kann Berlin rechtlich betrachtet nur Investitionsmittel und nicht etwa Geld für Pflegekräfte bereitstellen. „Eine vorübergehende Lösung könnte aber sein, dass das Land Berlin die möglicherweise entstehenden Defizite übernimmt“, so Jäger. Potsdam etwa habe das beim Ernst-von-Bergmann-Klinikum so gehandhabt.
Vier Monate vor den Wahlen ist eigentlich ein guter Zeitpunkt, sich auf die Suche nach Lösungen zu begeben.
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