: Proletkult without a cause
Letzte Ausfahrt Underground: Für Tanith sind Kompromisse noch dazu da, nicht gemacht zu werden. Im Techno 2000 repräsentiert er den großen, aber auch tragischen Einzelkämpfer, der seinen Frieden mit dieser Welt partout nicht machen will ■ Von Jörg Sundermeier
Die „Dangerous Drums“-Partys haben in Berlin den Big Beat durchgesetzt – zumindest in den kleinen Friedrichshainer Clubs. Und ihre Flyergestaltung ist einmalig. Frauen sind dort gezeichnet, die beinahe nackt, doch wenig verlockend sind, da sie blutverschmierte Messer zeigen. Tanith ist bei diesen Partys ständiger DJ. Im Video zu seiner Single „Bronco“, sieht man vor ihm zwei Frauen tanzen, deren Haare wild umherfliegen und die allzu sichtbar schwitzen. Im Hintergrund glänzt eine feuchte, roh verputzte Wand. Trotz aller sexistischen Rollenklischees sind die Frauen hier offensichtlich mehr als nur Puppen. Und Tanith markiert nicht den Meister, der sie tanzen lässt. Mehr scheint es, als habe sich hier bös zu bös gesellt. Auf seiner Webpage findet man ein Foto, auf dem Tanith' Kopf mit einer schwarzen Mütze verhüllt ist, auf der wiederum der archaische Punisher-Schädel prangt – sein Markenzeichen.
All das passt nicht zu dem Bild von Techno, wie es sich in den späten Neunzigern in den Lounges von Köln, München oder eben Berlin darbietet. Einerseits taugt Tanith' Gebaren nicht dazu, adrette Gymnasiasten in den Plattenladen zu locken, und auch in den sanft vertäfelten Clubs ist das nichts für die aufgebrezelte Kreischfraktion. Gleichfalls aber ist dieses Auftreten nicht wirklich mit der Land- und Vorstadtjugend in Zusammenhang zu bringen, die jedes Wochenende in die Vergnügungszentren strömt. Tanith' Musik ist eher für mürrische Zeitgenossen. Sie ist schwerfällig, von dumpfer Wucht, ihre Beats stapfen zäh und mühselig durch einen Sound-Morast, der sich aus zighundert Versatzstücken zusammensetzt. Sie lebt einzig von ihrer düsteren Atmosphäre. Insofern taugt seine Musik nicht wirklich für den Tanzclub. Erst im kleinen Kellerclub unter einer illegalen Bar kommt sie zu voller Geltung. Bei Tanith' Auftreten handelt es sich um eine Art Proletkult ohne Proletarisches, so wie man es bei manchen linken Lederjackenträgern noch findet. Spaß haben heißt für so einen immer auch: Haltung zeigen.
Tanith ist das, was die Technoszene ein „Urgestein“ nennt. Seit 1988 ist er aktiv, hat im UFO aufgelegt, gehörte zu den frühen Einpeitschern im Tresor, ließ es auf den Tekknozid-Raves knallen und legte schon bald auf den ersten Maydays auf. An der Love Parade 1994 nahm er mit einem Sowjet-Panzer teil. Die britische ID ernannte ihn zum DJ des Monats, eine nicht eben kleine Ehre. Dennoch ließ sich Tanith vom Erfolg nicht irr machen. Die Gelegenheit, auf dem von ihm mitgegründeten Bash-Label zu veröffentlichen, ließ er verstreichen; als ständiger Rezensent der Frontpage erschlich er sich keine Machtposition. Im Gegenteil, wenn Tanith zu etwas keine Lust mehr hatte, ließ er es bleiben. So verließ er bald die Mayday und verkaufte schließlich sogar einen erklecklichen Teil seiner bisherigen Plattensammlung. Denn Techno und das Techno-Business begannen ihn zu langweilen.
Stattdessen entdeckt er die Attraktivität des Breakbeat. Insbesondere beim Big Beat und seinen Spielarten findet Tanith die Produktionsweise, nach der er gesucht hat. Hier lässt sich HipHop mit EBM verbinden, der Industrial-Fan kommt zu seinem Recht, und auch die Liebhaber der Punk-Attitüde werden bedient. Kurz, Tanith, der leidenschaftliche Camouflage-Träger, der seinen Frieden mit der Welt nicht machen will, kann hier an das anknüpfen, was Techno seines Erachtens über die Jahre verloren hat, nämlich an den Underground.
Das Undergroundige ist für Tanith absolut bedeutend, es steht bei ihm noch für einen verbindlichen Inhalt. Mehr noch: Es ersetzt den Begriff des Politischen. Das macht ihn zwar für seine Plattenfirma ohne weiteres vermarktbar – Underground ist ja inzwischen ein Etikett ohne Wert –, doch das stört ihn nicht. Bei Tanith heißt Undergroundsein, dass man tatsächlich in die Keller steigt. Und dass man sich studentischen Show-Gesten verweigert. Dass man seinen unbedingten Spaß hat, ohne Rücksicht auf den Arbeitsplatz oder auf die Gesundheit.
Allerdings scheitert Tanith bei seinem erst jetzt erscheinenden Debütalbum an seinem Wissen um Sounds. Track by Track wird hier durch die Stile gesurft, ein kleiner Reggae-Drumsound hier und ein fieses Knarzen dort bezeichnen die Spannbreite seines musikalischen Werkes. Kein einziger Track bleibt dabei auf Linie, und auf Regelmäßigkeiten ist nicht zu hoffen.
Tanith' Stücke sind eigenwillig, aber dabei nicht aufdringlich. Die Platte ist wie die Ruinen, die Berlin erst nach und nach durch die Sanierungsprogramme verliert. Insofern ist seine Platte auf eine melancholische Weise rückwärtsgewandt.
Andererseits geht es nicht in den Pub. Damit ist Tanith anders als einige Big-Beat-Wegbegleiter wie etwa die Chemical Brothers oder Fatboy Slim: Er weigert sich, mit seiner Musik die Gesten des Bombast-Rock mittels der elektronischen Musik in das nächste Jahrtausend zu retten. Er macht Tracks, die – wenngleich ohne besondere kunsthandwerkliche Eleganz – mit großem Sound- und Effektwissen und aus verschiedenen Parts zusammengesetzt sind, aus denen eine gewisse Gleichgültigkeit den Hörern gegenüber spricht. Denn obschon Tanith versucht, seine Musik mit dem proletarischen Charme des Märkischen Viertels zu versehen, bleibt sie doch zu kompliziert für den simplen Rave-Spaß. Andererseits taugt sie aber eben auch nicht für die Boheme. Tanith bleibt auf eine fast tragische Art in den Friedrichshainer Clubs hängen, deren Publikum sich komplett aus subversiven Studienabbrechern rekrutiert. Seine Musik ist für die meisten zu dumm und zu schlau zugleich. So geht es, wenn es ohne Kompromisse gehen muss.
Tanith: Still (Motor Music)
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