piwik no script img

Projekte in Mitte und PankowAlternative vor dem Aus

Gleich drei langjährige linke Projekte in Mitte und Pankow kämpfen ums Überleben: die Linienstraße 206, die "Kirche von unten" und das Kneipenkollektiv Baiz.

War vielleicht bald mal: linke Pankower Nazi-Gegner auf einem Dach im Prenzlauer Berg. Bild: ap

Der Richter macht kurzen Prozess: Schon nach 20 Minuten erklärt er die Güteverhandlung für gescheitert. Zu weit liegen die beiden Seiten auseinander. Kathrin K., pinke Haare, Bewohnerin des Hausprojekts Linienstraße 206, und Bernd-Ullrich Lippert, der Eigentümer des Hauses, ganz in dunklen Farben gekleidet.

Für das alternative Wohnprojekt in Mitte, 1990 besetzt und heute das letzte seiner Art in der Spandauer Vorstadt, wird es damit ernst. Erstmals musste es am Mittwoch wegen einer Räumungsklage vor Gericht – und brachte 30 UnterstützerInnen mit. Die ließen im Gerichtssaal ihre Jacken fallen und formten mit weißen T-Shirts eine Liebeserklärung: „I love Linie 206“.

Allerdings geht es derzeit nicht nur um die Linienstraße. Gleich um die Ecke stehen noch zwei weitere traditionslinke Projekte vor dem Aus: der Jugend- und Konzerttreff „Kirche von Unten“ in der Kremmener Straße und das Kneipenkollektiv Baiz an der Torstraße. Die Veteranen der Alternativkultur in Mitte und Prenzlauer Berg wanken.

Herbstlaube bedroht

Auch die "Herbstlaube" in der Dunckerstraße, nahe des Holmholtzplatzes, steht vor dem Ende. Der Begegnungsstätte wurde bereits im Frühjar 2012 die öffentliche Förderung gestrichen. Nun, so teilen die ehrenamtlichen Betreiber mit, sei auch der Weiterbetrieb mit Spendengeldern nicht mehr zu leisten. Ende April könnte dann Schluss sein.

Die "Herbstlaube" beherbergt einen Seniorenclub und seit fast zehn Jahren auch die Ausstellung über "Bauen und Wohnen in Prenzlauer Berg um 1900".

Am Samstag, den 16. März, wollen UnterstützerInnen mit einem Straßenfest in der Dunckerstraße für die Offenhaltung der "Laube" protestieren. (taz)

Die Linienstraße verschaffte sich am Mittwoch vorerst eine Verschnaufpause. Schon im Dezember hatte Lippert, seit 2010 Eigentümer, gegen Kathrin K. Räumungsklage erhoben: Diese habe nicht mal einen Mietvertrag. Das Einzige, was Lipperts Anwalt beim Gütetermin vor dem Amtsgericht anbietet, ist eine „großzügige Räumungsfrist“. Lachen im Publikum. „Wie nett“, murmelt eine Frau.

Kathrin K., seit 2007 im Haus, hält dagegen: Es gebe sehr wohl einen Mietvertrag, einen mündlichen, vereinbart im Treppenhaus. Und seit sechs Jahren zahle sie auch Miete. Der Richter gibt ihr recht: Durch die lange Dauer der Zahlungen sei ein Mietverhältnis entstanden. In einem neuen Prozess müsse nun geklärt werden, ob tatsächlich mündlich ein Vertrag geschlossen wurde. Oder ob dieses Gespräch erfunden wurde, wie Lippert behauptet, und damit „Prozessbetrug“ und wiederum ein Kündigungsgrund vorliege.

„Für das Gespräch haben wir genug Zeugen“, zeigt sich Kathrin K. erleichtert. Gleichzeitig fürchtet sie, die Klage gegen sie sei erst der Auftakt: „Der will uns alle loswerden.“ Bereits vor Monaten hätten alle Bewohner im Haus Abmahnungen erhalten, im Oktober mussten sie Lippert einen Hausschlüssel überreichen. Der plane Eigentumswohnungen. Das Projekt bietet an, das Haus selbst zu kaufen. „Aber Lippert blockt ab“, klagt Kathrin K.

Die „Kirche von Unten“ (KvU) ist schon seit Jahresbeginn ohne Mietverträge, der Eigentümer ließ sie auslaufen. Auch hier sollen im Café und im Keller Eigentumswohnungen und eine Garage entstehen, statt wie seit 1992 Konzerte und Bandproben stattfinden zu lassen. „Bisher gab es noch Gespräche mit der Hausverwaltung, deshalb gibt es uns noch“, sagt eine KvU-Sprecherin. „Das steht jetzt aber vorm Scheitern.“ Auch ein Ersatzobjekt, das Peter-Edel-Kulturhaus in Weißensee, sei „so gut wie gestorben“. „Und die Politik macht Versprechungen, aber sonst nichts.“ Nun stünden alle Zeichen auf Räumungsverfahren.

Ähnlich sieht es beim Baiz-Kollektiv aus. Ende letzten Jahres hat eine Immobiliengruppe das Haus gekauft, in dessen Erdgeschoss sich die Kneipe befindet. Auch hier sollen geplant sein: Eigentumswohnungen und Büros. „Eine gastronomische Weiternutzung wird kategorisch ausgeschlossen“, heißt es vom Baiz.

Seit zehn Jahren ist die Kneipe in ihren Räumen, veranstaltet dort linke Info-Abende und Lesungen. Bis Ende Oktober läuft der Mietvertrag. Eine Verlängerung bis maximal Ende Februar 2014 sei ihnen angeboten worden, mehr nicht, so das Kollektiv. Nur habe man „auf jeden Fall Bock, weiterzumachen, wo und wie auch immer“. Am Sonntag trafen sich bereits 80 UnterstützerInnen, um zu beraten, wie.

Ein Rettungsversuch: eine gemeinsame Demonstration der drei Projekte am 13. April. Immerhin gelang es im letzten Jahr durch vehementen Protest, das benachbarte Offkulturprojekt Schokoladen zu retten. Der Protest sei das, was nun noch bleibe, heißt es auch von Baiz, KvU und Linienstraße.

Auch die Opposition ruft zur Unterstützung der Projekte auf. „Das Schweigen der bezirklichen Akteure ist höchst beunruhigend“, kritisiert Katrin Lompscher (Linke). „Sie müssen die Projekte schützen, sonst bricht hier bald in einem ganzen Stadtteil die Alternativkultur weg.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • RB
    Richard Berger

    @ lalala

    Ich muss Ihnen bezüglich der Kirche von Unten (KvU) widersprechen. Diese verfolgt einen ganz anderen Ansatz als das Baiz, ist hauptsächlich ehrenamtlich organisiert und bietet offene Räume für jeden. Man kann sich dort ausprobieren und eigene Projekte organisieren. Es ist außerdem ein Begegnungsraum für ganz verschiedene Menschen. Das ist unter anderem an der sehr heterogenen Alterstruktur und den unterschiedlichen sozialen Herkünften der Besucher erkennbar. Da sitzt dann schon mal der Steuerberater neben dem Suffipunker beim Bier und lässt sich von Ihm die Welt erklären.

    Das die KvU außerdem eine Institution der Punkmusik, mit vielen regionalen als auch internationalen Bands, ist muss auch beachtet werden. Das ist halt auch ein Beitrag zur Kultur in Mitte.

  • H
    Hans

    @lalala: Oha! Das finde ich krass. An einem Punkt, wo es um eine gemeinsame Demo geht, eine differenzierte Betrachtung zu fordern, ist deutlich. Schon klar. Darwin wusste bereits: Wer am besten angepasst ist, gewinnt.

     

    Ich bitte zu Bedenken: Die Aussenwirkung eines Wohnprojektes ist immer kleiner als die einer Kneipe. Mir als Nachbarn ist es darüberhinaus eine Wohltat, ein Haus zu sehen, wo noch keine Luxusappartments drin sind. Ich freue mich täglich über dessen Existenz, auch wenn ich niemanden mehr dort persönlich kenne, aber das könnte ich ändern, wenn ich möchte.

     

    Zur KVU: Die Bedeutung dieser Institution ist größer, als jemand beurteilen kann, der offenbar gerne im Baiz ein Hefeweizen trinkt. Es gibt im ganzen Bezirk keine auch nur annähernd vergleichbaren Angebote für diese jungen Leute, weder kirchliche noch solche von anderen Trägern, geschweige denn vom Bezirk, der seine eigenen Einrichtungen ohne Ersatz schliesst. Für eine grosse Zahl von Bands ist die KvU ausserdem ein wichtiger Veranstaltungsort und viele kleinere Interpreten, auch aus dem Ausland, hätten ohne die KvU keine Chance gehabt, in Berlin zu spielen.

     

    ICH werde demonstrieren gehen. Auf jeden Fall!

     

    @ellax: danke! genauso.

  • L
    lalala

    von dem wohnprojekt und der kvu bekommt man im kiez nichts mit. beides sind projekte, denen es vornehmlich um ihren eigenen komfort zu gehen scheint denn um ein wirken in die gesellschaft hinein. eine evaluation im sinne eines qualitätsmanagements sozialer projekte kann die kvu nicht vorlegen. deshalb müssen sich beide projekte auch den regeln bäugen, die für alle anderen privatunternehmungen in dieser stadt gelten.

    wenn ich mir ansehe wie viele läden jährlich eröffnen und wieder schließen, dann möchte ich mir nicht vorstellen müssen, dass jeder, anfängt zu protestieren.

    dann, meine damen und herren, hätten sie etwas früher und sehr viel energischer anfangen müssen, die systemfrage zu stellen.

     

    um das baiz tut es mir wirklich leid:

    hier müßte der seitens spd/cdu/grüne/linke vereinbarte schuzt für clubs gelten.

    denn das baiz ist der einzige linke club in mitte und pankow, in dem regelmäßig und mit aussenwirkung gearbeitet wird. ein super programm.

     

    ich plädiere deshalb dafür in den oben genannten beispielen zu differenzieren und zumindest denen, die eine gute arbeit für die gesellschaft leisten, nun auch deren schutz angedeihen zu lassen.

    hier ist die politik gefordert.

  • E
    ellax

    @medienbuerger

     

    prinzip der demokratie ist es doch aber auch, dass es die möglichkeit für bürger_innen, aktivist_inen, wie auch immer Sie diese nennen mögen, gibt, geltende gesetze, regelungen, handlungen zu hinterfragen und sich, gegebenenfalles auch mal geltendem recht zu widersetzen oder auf ungerechtigkeiten etc. hinzuweisen. hätte es niemals aktivist_innen gegeben, müssten zb frauen auch heute noch ihre ehemänner, um erlaubnis bitte, sich eine waschmaschine kaufen zu dürfen;-) demokratie ist ein prozess, der durch die beteiligung von bürger_innen am leben gehalten wird. super, wenn sich menschen aktiv und solidarisch zusammentun. das ist gelebte demokratie!

     

    @j. lehnert: ist es nicht viel mehr so: je radikaler die politischen verhältnisse, desto radikaler wird das individuum?

     

    gruß,

     

    ellax

  • E
    ellax

    Ein Aus ist keine Alternative.

  • JL
    Jorg Lehnert

    Eigentlich ist es schade, wenn alternative Projekte aufgeben müssen. Sie tragen ein Stück weit zur lebendigen Vielfalt in der Stadt bei. Oft ist es aber leider so, dass diese alternativen Projekte zu Stützpunkten linksradikaler Gewalttäter verkommen (siehe ehemalige Liebigstraße) und für die Polizei nur unter großem Aufwand oder gar nicht betretbar sind. Ob das bei diesen Projekten, um die es hier geht, der Fall ist, kann ich nicht beurteilen. Tatsache ist, dass sich zumindest Teile der alternativen Szene nicht klar oder gar nicht von Linksradikalen abgrenzen. Das war in Berlin leider schon immer so.

  • M
    MedienBuerger

    Diese linken Projekte haben einen Denkfehler gemacht, sie vertraten die Ansicht:

    Einmal Kiez, immer Kiez, und zwar unserer!

     

    Wenn ein Eigentümer ein(e) Grundstück / Haus / Wohnung besitzt und veräußert, dann überträgt sich natürlich auch Verfügungs-, und Nutzungsrecht auf den Neu-Eigentümer. Das scheinen sog. "Aktivisten" nicht immer einzusehen. Auch wenn der Besitzer dann Übergangszeiten einräumt, wird ihm dies noch zu seinem Nachteil ausgelegt.

     

    Aber demokratische Vorgänge sind Aktivisten ja oft fremd, im Ernstfall stellt man sich halt "im Sinne der Sache" gegen einen Volksentscheid oder das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes.

     

    Chapeau