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Projekte der sexpositiven SzeneHilfreiches Pornogucken

In Zeiten der Kontaktsperre verlegen auch sexpositive Theatermacher:innen und Sexshop-Betreiber:innen ihre Workshops und Performances ins Internet.

Feministische Bilder für das eigene Begehren: Die Performance „Oh My“ vom Kollektiv Henrike Iglesias Foto: Paula Reissig

Hamburg taz | Sex kann eine soziale Sache sein, muss er aber nicht. Zum Glück, denn soziale Sachen sind dieser Tage eher schwierig. Außer sie haben mit dem Internet zu tun: Das feministische Sexshop-Kollektiv „Fuck Yeah“ aus Hamburg etwa verkauft seine Dildos, Analplugs oder Harnesse normalerweise im Hamburger Gängeviertel – und jetzt eben nur online. Beraten werden Kund:innen etwa über ­Instagram.

Fuck Yeah veranstaltet auch Workshops: von Einführungen zu Sextoys über „Dildos gegen das Patriarchat“ bis hin zu ganzen Gesprächswochenenden. Aus „Fuck Yeah!“ ist erst mal „stay the fuck at home“ geworden. „Wir überlegen jetzt, wie wir die Workshops auch digital anbieten können“, sagt Zarah Henschen vom Kollektiv. Vertreten ist das Kollektiv auch auf den anderen großen Social-media-Plattformen Facebook und Twitter.

Über Sex reden: Das wollte man dieses Frühjahr auch in der Bremer Schwankhalle. Körper, Alter, Essen, Porno: Um all das geht es – sollte es gehen – im Schwerpunkt „Unverschämt“, der immerhin zur Hälfte stattfinden konnte, bevor das Coronavirus die Kulturbranche zumindest live völlig ausgeknockt hat. „Abgeknickt“: So nennt Janna Schmidt von der Schwankhalle, was mit der Spielzeit passiert ist.

Auch Pornos sollten da vom Netz auf die Bühne geholt werden, Sex sollte thematisiert werden und mit anderen diskutiert. Stattdessen: Abbruch und viel Ratlosigkeit. „Unverschämt“ sind jetzt also nicht die Frauen*, die sich Macht über ihren Körper zurückholen. Unverschämt ist ein Virus, das, na ja, eben diese Macht beansprucht. Um dieser unvorhergesehenen Lage zu trotzen, braucht es jetzt quasi eine Rolle rückwärts: Von der Zwischenmenschlichkeit zurück in die Digitalität. „Das kann bei Porno doch nicht so schwierig sein“, werden jetzt einige sagen. Ist es aber eben doch.

Austausch über persönliche Erfahrungen

Sex ist politisch, Porno ist politisch. Ums Politische soll es aber nicht gehen in den Gesprächsreihen des Projekts „letstalk“, Teil des havarierten „Unverschämt“-Programmschwerpunkts der Schwankhalle. In kleinen Gruppen sollen sich stattdessen Teilnehmer:innen über persönliche Erfahrungen austauschen. Wichtig dabei: Niemand muss über Dinge reden, die unangenehm sind. Stattdessen ist es explizit erwünscht, „Impulsen“ zu folgen – also auch rauszugehen, wenn das gerade nötig ist. Teil eins, über „Sex und Arbeit“, kam noch zustande, „Sex und Porno“ sowie „Sex und Alter“ fallen erst mal flach.

Und nun? Den Initiatorinnen Klara Landwehr und Frauke Schussmann ist ein Austausch über Sex auch außerhalb des Theaters wichtig: „Für viele ist es erleichternd, über Sexualität zu sprechen“, sagt Landwehr. „Deswegen haben wir die Veranstaltung überhaupt erst gegründet.“ Per Mail (letstalk@posteo.de) lassen sich die Fragen, die sonst in den Gruppen diskutiert werden, jetzt auch nach Hause bestellen. Warum also nicht einfach mal in der WG sprechen – über Sexualität und die eigenen Pornovorlieben? Das auch mal außerhalb der Beziehung oder enger Freundschaften zu tun, hat System: „Für manche ist es gerade dann erleichternd“, sagt Landwehr, „wenn sie mit Fremden darüber sprechen.“

Mit Fremdheit spielt auch das Theaterkollektiv Henrike Iglesias aus Berlin in „Oh My“, einem theatralen Live-Porno, der neben der Performance „Fressen“ Teil von „Unverschämt“ hätte sein sollen: Dabei sind die Zuschauer:*innen durch Kopfhörer zumindest räumlich voneinander getrennt. Auf der Bühne experimentieren die Performer:innen währenddessen mit Pornografie als Empowerment-Strategie und machen sich selbst daran, erotische Bilder zu produzieren.

Nicht nur Nacktheit spielt dabei eine Rolle, auch ästhetische Abstraktion. Den Bildern aus der Mainstream-Produktion soll gezielt etwas entgegengesetzt werden. „Die Pornolandschaft muss diverser werden“, sagt Marielle Schavan von Henrike Iglesias. „Wir sind auf einem guten Weg dahin, aber gerade der Mainstream-Bereich ist immer noch viel von Sexismen und Rassismen geprägt.“

Um Tabus zu brechen, hilft Reden. Geht es um das Tabuthema Sexualität, hilft neben Reden auch gemeinsames Pornogucken – um überhaupt etwas zum Reden zu haben. Porno ist aber natürlich nicht gleich Porno. Und feministische Pornos sind keine winzige Nische mehr.

Lexi Venus vom Team des Berliner „PorYes Awards“ hatte die drei Filme für das Feminist Porn Watching in der Schwankhalle schon rausgesucht. „Ich wähle die Filme so aus, dass sie zum Reden bringen, egal ob die Leute am Ende begeistert, erregt oder irritiert sind.“ Bei feministischen Pornos ist das Wie wichtig, es geht um die Produktionsbedingungen vor und hinter der Kamera, um diverse Körper und diverse Sexualität abseits von Gendernormen. „Wir wollen Lust sehen, safer Sex, Kommunikation“, sagt Lexi Venus – „und vor allem wollen wir Konsens sehen.“ Ob totaler Trash oder hoch künstlerisch, die Form sei da nicht die Frage.

Zeit für Onanie

Nachdem es in Deutschland lange ein Zugangsproblem zu feministischen Pornos gab, gibt es etwa mit Pink Label TV mittlerweile auch Streaming-Plattformen. „Die hätte ich den Leuten jetzt sowieso empfohlen“, sagt Lexi Venus. „Jetzt können sie eben die Praxis vor der Theorie machen.“ Onanie sei gerade jetzt in der physischen Isolation besonders wichtig. „Feministische Pornos können da eine tolle Inspiration sein.“

Pornos gucken und über Sex reden: Das passiert in der Bremer Schwankhalle in nächster Zeit also nicht. Auch wenn es richtiger Ersatz ist: Beides lässt sich auch zu Hause machen. „Oh My“ stößt bei einer möglichen Onlineversion aber an Widersprüche: „Unsere Performance lebt von der leiblichen Ko-Präsenz von Zuschauer:innen und Performer:innen“, sagt Marielle Schavan, „und davon, dass sie ein Medium, das sonst kaum live konsumiert wird, auf diese Weise konsumierbar und zugänglich macht.“

Wie geht es weiter? „Wenn das noch länger geht, werden wir uns darüber aber Gedanken machen.“ Das hänge aber auch davon ab, ob für etwaige Uminszenierungen finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Schavan macht sich darüber hinaus aber Sorgen um die sexpositive Szene insgesamt: „Wir waren da zumindest in Berlin an einem guten Punkt.“ Die Szene lebe allerdings auch von der Live-Begegnung und davon, Berührungsängste und Schamgefühle abzubauen. „Ich habe Angst, dass die Rhetorik um das Coronavirus diese Fortschritte wieder einfriert“, sagt die Performerin, „und uns auch nach der Ausnahmesituation noch lange begleiten wird.“

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