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Profiteure der BerlinaleFilme kurbeln die Wirtschaft an

Nobelhotels und Drogenhändler, Securityfirmen und Lichtspielhäuser: Wem beschert die am Donnerstag gestartete Berlinale eigentlich volle Kassen?

Die letzten Vorbereitungen für die Filmfestspiele laufen Bild: reuters

Gloria Viagra freut sich auf die Berlinale. "Da kocht die Partyszene", sagt das selbst ernannte Filmfestflittchen. Es gehe zwar nicht mehr ganz so glamourös zu wie vor einigen Jahren, aber diese Zeit im Jahr habe sie in ihrem Partykalender besonders vermerkt. Entsprechend nimmt die Dragqueen alles mit, was geht: "Erst die großen Empfänge, Freidrinks abholen, und dann die kleinen Treffen, wo die Leute netter sind." An die Hollywoodgrößen komme man zwar nur schwer heran, aber: "Hannelore Elsner bringt einen immer wieder super durch die Nacht", sagt die Berlinale-Begeisterte.

Neben Viagra und der 67-jährigen Schauspielerin Elsner werden unzählige weitere Gäste zur Berlinale erwartet, der Besucherandrang steigt seit Jahren. Mindestens 275.000 Tickets wollen die Organisatoren dieses Mal verkaufen. Das zehntägige Filmfestival ist damit eines der größten weltweit und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Berlin. Das Budget der Berlinale liegt seit Jahren bei ungefähr 18 Millionen Euro. Auf dieser Basis werden, laut einer Studie der Investitionsbank Berlin für das Jahr 2007, zusätzliche Wirtschaftsleistungen im Wert von 300 Millionen Euro erbracht und rund 2.400 befristete Arbeitsplätze geschaffen. Und Christoph Lang von der Marketinganstalt Berlin Partner, die die Berlinale mit Radiospots und Anzeigen im Wert von etwa 80.000 Euro unterstützt, schätzt "die Strahlkraft für das Image der Stadt".

Die Hotels in der Umgebung des Potsdamer Platzes sind der Strahlkraft entsprechend bereits weitestgehend ausgebucht. Gefragt ist vor allem das Luxussegment. "Bei uns herrscht zur Berlinale totaler Ausnahmezustand", so Ina Ten Doornkaat vom Fünfsternehotel Grand Hyatt, in dem auch Pressekonferenzen und Treffen von Filmschaffenden abgehalten werden.

Gregor weiß die gewisse Verschwendungssucht zu schätzen, die die Jagd nach Glamour mit sich bringt. Der Drogenhändler erklärt: "Koks geht während der Berlinale super. Da kommen immer die Filmstudenten, die auf dicke Hose machen wollen." Der Hang zum Lotterleben beschert auch den Callgirls satte Einnahmen. Aus der Agentur My Escort Berlin heißt es: "Zur Berlinale haben wir 50 Prozent mehr Buchungen."

Auch die teilnehmenden Kinos verdienen. "Das ist eine besondere Zeit für uns", sagt Thorsten Lemke von der Yorck-Kinogruppe. Entsprechend wird "alles auf Hochglanz poliert, damit das Festival einfallen kann." Aber die Berlinale stellt für die Kinos nicht unbedingt die Megaeinnahmequelle dar, als die sie zunächst erscheint. "Dass viele Zuschauer kommen, ist für uns eher unerheblich, weil die Berlinale die Säle komplett mietet", sagt Lemke. Gleichzeitig bricht einer der größten Umsatzbringer weg: Während der Berlinale darf in keinem Festspielkino Popcorn verkauft werden.

Kleine Filmtheater, die nicht Teil des Berlinaleprogramms sind, wie das FSK-Kino am Oranienplatz, verlieren in dieser Zeit sogar Zuschauer. Christian Suhren, einer der Betreiber, sagt: "Für den Kinostandort Berlin ist das Festival eine tolle Sache. Aber der Eventcharakter impliziert eine Alleinvertretung der Filmkunst - wer nicht dabei ist, wird vergessen." Eva Matlok, Geschäftsführerin der Gilde deutscher Filmkunsttheater, bestätigt: "Es werden hauptsächlich Großkinos einbezogen. Die Kiezkinos, die sowieso einen schweren Stand haben, werden vernachlässigt." Dabei seien es gerade diese Häuser, die die Stadt das ganze Jahr über mit Kunst und Kultur versorgten. Berlinale-Sprecherin Frauke Greiner verteidigt das Konzept: "Wir versuchen ja, möglichst viele Kinos spielen zu lassen." Doch sei dies aufgrund der beschränkten technischen Möglichkeiten der Kinos nicht immer möglich.

Wirtschaftsfaktor Berlinale? Auch Johannes K. winkt resigniert ab. Der 50-Jährige steht mit seinem Taxi regelmäßig am Potsdamer Platz. Er sagt: "Ich mache nicht viel mehr Fahrten als sonst." An den Potsdamer Platz komme man wegen der Absperrungen sowieso kaum heran, und: "Die haben doch alle Chauffeurservice", beschwert er sich. Wenn, dann seien die Touren kurz, "die meisten wollen nur in ihr Hotel um die Ecke".

Fern des Potsdamer Platzes kommt von dem Festivaltrubel entsprechend wenig an. In dem nach Selbstaussage "größten Convention-, Entertainment- und Hotelkomplex Europas", dem Estrel Hotel in Neukölln, ist "nicht wirklich etwas von einem Berlinale-bedingten Anstieg der Gästezahlen zu spüren", so Sprecherin Miranda Meier.

Der Glanz der Berlinale nimmt ab, nicht nur mit der Entfernung vom Potsdamer Platz, sondern in letzter Zeit. Peter Schulze, Eventmanager von 20th Century Fox, sagt: "Wir haben schon wahnsinnig viele und große Partys zur Berlinale veranstaltet, sind jetzt aber auch durch die Finanzkrise davon abgekommen." Diesmal gebe es nur noch einen kleinen Empfang mit ungefähr 80 ausgewählten Gästen. Auch andere Filmfirmen würden keine "Massenfeten" mehr veranstalten.

Die wenigen verbliebenen großen Empfänge und die kleinen VIP-Partys lassen sich nur schwer als Wirtschaftsfaktor einordnen. Der Eintritt ist für die Gäste umsonst; "getrunken wird prinzipiell für lau", so Partyexpertin Gloria Viagra. Zwar werden die Feste meist gesponsert, sodass in Bereichen wie Catering und Security Arbeitsplätze entstehen, die jedoch oft "ungesichert und schlecht bezahlt" seien, sagt Sebastian Riesner, Sekretär der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Gloria Viagra hofft dennoch, dass viele ihrer Bekannten bei der Berlinale arbeiten. Denn außer über trickreiche Umwege, die den Missbrauch teil-illoyaler Mitarbeiter beinhalten, sei der Zugang zu den meist auf geladene Gäste beschränkten Feiern "für Normalsterbliche" schwer bis unmöglich, so das Showgirl.

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