Professor über Uni-Kurse im Internet: „Der Durchbruch steht noch bevor“
Online-Kurse sollten ein Studium für viele möglich machen. Das hat so nicht geklappt. Der US-Professor Mohammad Qayoumi glaubt aber weiter an sie.
taz: Herr Qayoumi, die New York Times erklärte das Jahr 2012 zum „Year of the Mooc (Massive Open Online Course, dt.: massiver offener Online-Kurs)“. Ein Jahr später sprach man von einem großen Flop. Was ist passiert?
Mohammad Qayoumi: Manche dachten, die Moocs würden alle Probleme lösen. Wenn man Moocs ganz nüchtern betrachtet, sind das aber vor allem interaktive Lehrbücher, die ohne große Kosten für quasi jeden zugänglich sind.
Was ist der Unterschied zwischen Moocs und anderen E-Learning-Programmen?
Normale Onlinekurse, die an Universitäten angeboten werden, sind geschlossene Systeme, die Moocs waren offene Systeme.
Gemeinsam mit Udacity haben Sie Anfang 2012 als einer der Ersten an der San José State University Moocs angeboten.
Es gab fünf Kurse in Mathe und Psychologie, die sich Schüler später in ihrem Studium anrechnen lassen konnten. Allerdings mussten wir nach einigen Wochen feststellen, dass viele Schüler aus schwächeren Einkommensschichten nur in der Schule einen Zugang zum Internet haben, und dann nur ganz kurz. Außerdem waren sie nicht an die Onlinekurse gewöhnt, wo man nicht seine Hausaufgaben vorzeigen muss. Deshalb schnitten die Teilnehmer im Schnitt schlechter ab als diejenigen, die den Kurs ganz normal an der Uni besuchten. Daraus haben wir gelernt. Beim zweiten Mal gab es einen verpflichtenden einwöchigen Einführungskurs für alle Mooc-Teilnehmer an unserer Uni. Und es standen rund um die Uhr Mentoren zur Verfügung, denen man seine Fragen schicken konnte. Das war sehr erfolgreich, am Schluss schnitten die Mooc-Teilnehmer in drei von fünf Kursen besser ab die normalen Studenten.
Der 61-Jährige ist Präsident der San José State University in Kalifornien und Professor für Elektrotechnik. Qayoumi war Vorstandsmitglied der afghanischen Zentralbank und berät die afghanische Regierung.
Warum werden diese Moocs dann jetzt nicht mehr angeboten?
Wir hätten weitergemacht, aber Udacity hat sich zurückgezogen. Die haben 90 Prozent ihrer Energie in unsere Kurse gesteckt und kaum etwas daran verdient. Und mit all den negativen Artikeln – da haben sie entschieden, ihr Businessmodell zu verändern.
Was macht Udacity jetzt?
Sie arbeiten mit Unternehmen zusammen und bieten bestimmte Zertifikate an. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Im Silicon Valley brauchen sie Leute mit Abschlüssen in Cybersicherheit und Big Data. Wenn jemand einen Abschluss in Informatik hat, braucht er keinen weiteren. Aber das Zertifikat von Udacity in Big Data qualifiziert ihn für den Job. Den Unternehmen ist es egal, dass das kein Unikurs ist. Die bezahlen Udacity sogar dafür, herauszufinden, wer wie gut abschneidet. So finden sie die Leute, die sie einstellen wollen.
An der San José State University werden also aktuell keine Moocs angeboten.
So gesehen ja. Wir nutzen Material vom Massachusetts Institute of Technology, aber das bringen wir zum Seminar mit. Das entspricht nicht dem traditionellen Mooc-Modell. Aber durch Moocs entstehen neue Möglichkeiten, Inhalte bereitzustellen – wie die Universitäten das nutzen, wird man sehen müssen.
Sie müssen enttäuscht sein.
Bin ich auch, aber wir müssen überlegen, wie wir in Zukunft da rangehen. Ich glaube: dass die Medien Moocs für tot erklärt haben, ist das Beste, was passieren konnte. Der richtige Durchbruch steht uns noch bevor.
Als Sebastian Thrun Udacity gründete, wollte er damit den gesamten Bildungsbereich mithilfe von Moocs, die jeder auf der ganzen Welt belegen kann, demokratisieren. Hat sich das erledigt?
Nein. Aber wir werden wahrscheinlich mehr davon außerhalb der Industriestaaten sehen. In Ländern, in denen es keine ordentliche Infrastruktur oder zu wenig ausgebildetes Lehrpersonal gibt, könnten Moocs sehr wichtig werden.
Das ist alles Zukunftsmusik.
Wissen Sie, die Zukunft kann morgen schon eintreffen. Viele Veränderungen sind nicht technologischer Natur, sondern soziologischer und kultureller. Bis eine neue Technologie akzeptiert wird – das dauert, vor allem im Hochschulbereich. Tradition ist für unsere Institution sehr wichtig.
Als Sie an Ihrer Universität Moocs eingeführt haben, haben das viele Ihrer Mitarbeiter öffentlich kritisiert.
Ja, das stimmt. Es gibt in den USA über eine Million Hochschullehrer und plötzlich lesen die überall, dass man nur noch diese Moocs braucht und kein Lehrpersonal mehr. Sie hatten Angst um ihre Arbeitsplätze.
Und Sie glauben nicht, dass man irgendwann keine physisch präsenten Hochschullehrer mehr braucht?
Ganz und gar nicht. Man wird immer Lehrpersonal brauchen. Aber ihre Rolle wird sich verändern. Für mich heißt Bildung nicht, jemanden hinter einen Computer zu setzen und ihm drei Jahre später einen Abschluss in die Hand zu drücken. Die ganzen Erfahrungen am Uni-Campus, der Austausch mit Leuten aus unterschiedlichen Kulturen, das kritische Denken, das man lernt, das ist sehr wichtig. Die Jahre von 18 bis 22 sind essenziell für die Entwicklung. Aber sollte diese Erfahrung sechs Jahre dauern und 50 Prozent brechen ihr Studium ab? So ist das im Moment. Wenn man Moocs kreativ nutzt, könnten 10 bis 20 Prozent mehr Studenten ihren Abschluss machen.
Wie geht das?
In einer traditionellen Vorlesung bereitet sich der Professor vor allem darauf vor, den Studierenden irgendwelche Inhalte und Fakten zu vermitteln. Moocs können das vorgefertigt liefern. Dann hätte die Lehrperson mehr Zeit, sich zu überlegen, wie man den Studierenden das Material so vermittelt, dass es auch wirklich bei ihnen ankommt, welche Methoden man anwendet, welche Beispiele man zu Rate zieht.
Wie wird Bildung in 20 Jahren aussehen?
Manche Dinge bleiben gleich, andere sicher nicht. Bildungsinhalte werden erstens nicht mehr nur von Universitäten geliefert, sondern auch von Stiftungen, von Büchereien und anderen öffentlichen Einrichtungen. Zweitens wird nicht mehr so stark zwischen formellem und informellem Lernen unterschieden. Drittens wird Lernen interaktiver, es wird weniger klassische Vorlesungen geben. Es wird mehr auf den Output vom Lernen geschaut werden, anstatt darauf, wie lange sich jemand hingesetzt und gebüffelt hat. Und zu guter Letzt werden Abschlüsse nur noch ein Teil unserer Bildung, ein Doktor ist nicht mehr der krönende Abschluss. Denn jeder wird sich sein Leben lang weiterbilden müssen. In zehn Jahren werden die Studierenden von heute in Bereichen arbeiten, die noch gar nicht existieren.
Wie soll man das unterrichten?
Die Universitäten könnten ihren Absolventen in Zukunft mithilfe von Moocs genau diese Möglichkeiten bieten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste