: Produktive Traumata
■ Ein wenig langweilig, aber bärenverdächtig: „Die Heimzahlung“ von Frans Weisz
Henk (Gjis Scholten van Aschat) arbeitet als Anwalt in einer holländischen Kleinstadt der fünfziger Jahre. Er ist jung, erfolgreich und auch seine Frau Olga (Renée Soutendjik) ist sehr schön. „Beneidest du mich?“, fragt er seinen besten Freund, der ein wenig an den Regierenden Bürgermeister erinnert. Der antwortet „Ja“ und es ist klar, daß das Glück von Henk doch sehr gefährdet ist. So wird er denn auch in der nächsten Szene zufällig Zeuge, wie sein älterer Kollege Grewestein (Coen Flink) ihn mit seiner Frau betrügt. Innerlich zerstört stiehlt er sich von dannen. Grell schlägt ihm das Tageslicht in die Augen. Blutrot färbt sich ihm das Grachtenwasser. „In der abendlichen Sonne sitzen wir gekrümmten Rückens / unsre Arme hängen nieder / unsre Augen blicken traurig.“ (Kafka)
Klassisch mit einem Trauma als Geschichtenproduktionsmaschine beginnt der Wettbewerbsfilm von Franz Weisz nach der Romanvorlage von Simon Vestdjik. Den ganzen Film über geht es darum, ein heilendes Äquivalent für die ursprüngliche Verletzung zu finden: das sofortige Einschreiten des Ehemannes, die Beichte der Frau oder das Geständnis des Ehebrechers. Doch die „Heimzahlung“ geht kompliziertere Wege. Der Film erzählt von der depressiven Rache des Mannes und den scheiternden Versuchen der Ehebrecher, den Seitensprung zu bezahlen. Das Angebot der Frau, ihre Schuld mit Sex zu sühnen, schlägt der Mann aus, denn es fehlt das Geständnis, und auch die Anwaltspraxis des Alten möchte er sich nicht übertragen lassen, schließlich ist er der Herr der Rache und bestimmt als Beleidigter den Preis. Und der steigt, denn die Depression ist groß. Es genügt nicht, daß der Betrogene seine Frau leicht umnachtet von einer Leiter stößt, es reicht nicht, daß er sie seinerseits mit einer Hure betrügt. Selbst der Mord an dem alten Casanova, mit dem Henk sich am Ende seinerseits verschuldet, vermag ihn nicht zufriedenzustellen.
Der Film von Franz Weisz ist perfekt konstruiert und in Szene gesetzt. Das Dekor wird jeden Möbelliebhaber erfreuen; Freunde perfekt eingesetzten Filmlichts werden begeistert sein; Psychologieinteressierte werden ein paar Tage noch grübeln und auch Sexinteressierte werden an der ursprünglichen Verführungsszene ihren Spaß haben: da zieht der alte Casanova als stolzer Exhibitionist seinen Reißverschluß herunter, schaut staunend auf sein Geschlecht und spricht andächtig: „Es ist wie ein Wunder, ein göttliches Wunder“. Das findet wohl auch die Frau und gibt sich ihm hin.
Alles stimmt in diesem Film, keine Sequenz ist überflüssig und dennoch gleiten die Bilder an einem vorbei. „Die Heimzahlung“ berührt nicht mehr als die Arbeit eines Musterschülers; es gibt nichts, was aus dem Film als geschlossenes Kunstprodukt hinausweist – keine Stadt lernt man kennen, keine Helden lernt man lieben. Ein wenig langweilt man sich, denn die Protagonisten sind einem so herzlich egal. Es ist die schiere Erwachsenendepression, die der Film konsequent inszeniert; ohne einen rettenden Fehler, ohne Liebe (sonst wäre die Depression nicht konsequent), ohne den Galgenhumor, mit dem sich so manche sympathische Helden in Film oder Wirklichkeit retten und vor allem ohne Schönheit und Liebe (das ist ja das Deprimierende an der Depression). In der Mitte des Films schlug ein Mann seiner Freundin vor, den Saal zu verlassen. „So schlimm ist das doch gar nicht“, meinte sie. Die beiden blieben, und wahrscheinlich wird „Die Heimzahlung“ ein Bärchen gewinnen. Nun denn. Detlef Kuhlbrodt
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