Pro und Contra: Ist Schwarz-Gelb wirklich so schlimm?
Jetzt stehen existenzielle Entscheidungen an. Diese dürfe nicht Schwarz-Gelb überlassen werden, meint Annett Mängel. Sie würden aber auch keine soziale Eiszeit einläuten, erklärt Nils aus dem Moore.
P RO
Der desaströse Zustand der SPD lässt manchen hoffen, sie bekäme nach der Wahl die Chance, sich in der Opposition zu erholen, um in vier Jahren mit neuer Schlagkraft wieder in den Ring zu steigen. Eines wird dabei gern übersehen: Im Jahr 2013 wird eine dann vielleicht rot-rot-grüne Koalition die verheerenden Auswirkungen einer schwarz-gelben Legislatur nicht ohne Weiteres wieder gutmachen können.
Denn nicht erst in vier, sondern jetzt, in den nächsten vier Jahren, stehen existenzielle Entscheidungen an: Wer zahlt die Bankenrettung und die Folgen der Krise? Sollen Unternehmen entlastet oder Schwache unterstützt werden? Wie werden die Einnahmeausfälle der Sozialversicherungsträger kompensiert? Zählen "Leistungsträger" mehr als Arbeitslose?
Wer die Beantwortung dieser Fragen Schwarz-Gelb überlassen will, damit sich die SPD in der Opposition regeneriert, stellt die vage Hoffnung auf Revitalisierung einer Partei über die Bedürfnisse der existenziell von Armut und Krise Betroffenen. Er nimmt die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten leichtfertig in Kauf.
Denn mit Schwarz-Gelb droht, wie es in deren Programmen steht, eine neue Umverteilung von unten nach oben. Ohne soziale Einhegung werden die Befürworter des Marktradikalismus in FDP und CDU verbündet das Hohelied auf die "Leistungsträger" anstimmen: Einkommensteuer runter, Eigenvorsorge rauf - bei Gesundheit, Arbeitslosigkeit und Rente. Wer nicht vorsorgt, ist selber schuld. Zudem droht eine deftige Mehrwertsteuer- statt einer Vermögensteuererhöhung.
Schwarz-Gelb wird die Pforten für einen neoliberalen Backlash öffnen, ohne nachhaltige Konsequenzen aus der Krise zu ziehen. Schwarz-Gelb heißt somit auch frisches Geld für das Kasino - bis zum nächsten Knall. Und nicht zuletzt: Ungeachtet allen Geredes von Generationengerechtigkeit wird Schwarz-Gelb die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern, ohne einen blassen Schimmer zu haben, wie man den Millionen Jahre strahlenden Müll entsorgt. Kurz: Ja, Schwarz-Gelb würde schlimm.
ANNETT MÄNGEL ist Redakteurin der "Blätter für deutsche und internationale Politik"
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CONTRA
Diese Frage beruht auf zwei Annahmen. Erstens, dass es bei den Bundestagswahlen in einer Woche für ein Bündnis aus Union und FDP reichen wird. Und zweitens, dass Schwarz-Gelb 2009 genau dort ansetzen würde, wo es nach dem auf der Zielgerade verspielten Sieg der Bundestagswahl 2005 nicht loslegen durfte.
Während die erste Annahme angesichts der Umfragen immer noch plausibel ist, so erscheint die zweite inzwischen sehr fragwürdig. Denn die CDU ist nicht mehr die Partei des Leipziger Parteitags von 2003, als Angela Merkel mit Margaret Thatcher verglichen wurde und glaubhaft vermittelte, bald mit einem wirtschaftsliberalen Programm "durchzuregieren".
Zwar schien aus dem industriepolitischen Konzept des Wirtschaftsministeriums der Geist von Leipzig noch einmal hervor, doch das bis in die Details ausgearbeitete Reformprogramm wurde von der Union ja nicht offensiv als die liberale Alternative zum ziemlich dirigistischen Deutschland-Plan der SPD verteidigt - sondern als "obsolete Stoffsammlung" aus dem Verkehr gezogen.
Auch in der Gesundheitspolitik ist vom Reformeifer wenig übrig geblieben. So war der Gesundheitsfonds angesichts der scheinbar unversöhnlichen Vorschläge von Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie als zeitlich befristeter Kompromiss darauf angelegt, dass er zu einem der beiden Ausgangskonzepte weiterentwickelt wird. Doch die Union hat längst klargemacht, dass sie ihr Prämienmodell nicht mehr anstrebt. Auch bei vielen anderen Themen sind die Differenzen zwischen Union und SPD inzwischen kleiner als jene zwischen Union und FDP. Das ist nicht nur der Effekt von vier Jahren großer Koalition, sondern auch der Tribut an die Rolle der CSU als sozialer Schutzpatron in Bayern.
Der Unterschied von Schwarz-Gelb und der großen Koalition wird daher kleiner sein, als viele erwarten. Für jene, die auf ein liberal inspiriertes Reformprogramm setzen, gibt es daher wenig Grund zur Hoffnung. Für alle, die den Beginn der sozialen Eiszeit fürchten, gibt es wenig Anlass zur Angst.
NILS AUS DEM MOORE arbeitet am Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung.
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