Pro und Contra Gaucks Bundeswehrrede: Koalition der Erregten
Der Bundespräsident äußert sich über Krieg und Frieden, und schon regen sich die Leute wieder auf. Recht so? Ein Pro und Contra.
Pro
Joachim Gauck ist es gelungen, sich in einer sicherheitspolitischen Grundsatzrede zur Gallionsfigur der Politik der Austerität zu machen. Jede Rede ein Ruck, drunter macht er’s nicht. Also stellt sich der Bundespräsident zum Antrittsbesuch bei der Truppe am Dienstag in die Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und tut seine, von qualifizierten historischen Vorkenntnissen unbelasteten Gedanken zur deutschen Sicherheitspolitik kund.
„Die Bundeswehr ... im Einsatz gegen Terror und Piraten – wer hätte so etwas vor zwanzig Jahren für möglich gehalten?“, fragt Joachim Gauck die versammelten Offiziere. Antworten möchte man ihm, dass zum Beispiel die Verteidigungsminister Stoltenberg und Rühe das für möglich gehalten haben mögen, als sie vor 20 Jahren mit Einsätzen im Persischen Golf, in Kambodscha und Somalia den Weg für eine international, auch im Kampfeinsatz tätige Bundeswehr ebneten.
Dass der Bundespräsident dann mit dem Verweis auf die besondere deutsche Verantwortung bei der Verteidigung der Freiheit an jedem Ort der Welt und mit der Waffe in der Hand nichts anderes tut, als die Position der früheren rot-grünen Bundesregierung zu paraphrasieren, zeigt, dass diese Entwicklung, aller Naivität zum Trotz, keine zufällige oder nicht vorhersehbare war.
Der wirklich interessante Teil seiner Rede in Hamburg ist aber nicht die neblige Rechtfertigung internationaler Militäreinsätze. Es ist auch nicht die bei Gauck unausweichliche Referenz auf die schlimmen Verhältnisse und die Militarisierung noch des Alltagslebens im glücklicherweise (!) nicht mehr bestehenden zweiten deutschen Staat. Es sind jene Anmerkungen, die nicht nur als Respektsbekundungen gegenüber der Leistung der Soldaten und Soldatinnen verstanden werden können, sondern auch als Ermahnung an den Rest der Gesellschaft.
Vom Ideal des Dienens schwärmt Joachim Gauck und stellt dem gegenüber eine „hedonistische“ und „glückssüchtige“ Gesellschaft, die den Preis der Freiheit nicht nur nicht bezahlen, sondern auch die unweigerlichen Begleiterscheinungen des Kampfes für die Demokratie nicht sehen will. „Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls auch vehement einzufordern.“ Die Kriegsversehrten und die notwendige Gewalt wollen sie dabei nicht wahrnehmen. Mehr Beachtung und mehr Respekt verdienen die Opfer, die gebracht werden für den höheren Zweck, der ist: Die Freiheit, wie Gauck sie meint.
Es verwundert angesichts dieser Schelte für die unverantwortlichen Profiteure der freien, demokratischen Gesellschaft, wie nahe dieser Bundespräsident, ein erklärter Feind der realsozialistischen Zwangsgesellschaft, sich doch an der Freiheitsdefinition von Friedrich Engels bewegt.
Die Pflicht, für den Bestand der Freiheit auch und gerade das zu tun, was der hedonistischen Bedürfnisbefriedigung zuwiderlaufen mag: Das ist Gaucks Einsicht in die Notwendigkeit. Der frühere Rostocker Jugendpfarrer lässt hier den verbissenen, spaßfeindlichen Pfaffen mit Neigung zur Parteidisziplin durchblicken.
So fügt er sich auf diese Weise ein in die Epoche der Austerität. Man spürt förmlich den großen Gürtel, den er im Dienste der Freiheit um die verantwortungsvolle Gemeinschaft enger schnallen möchte.
Dass Angela Merkel den verkniffenen Pastor nicht als Bundespräsidenten haben wollte, hat weniger mit seiner prinzipiellen Weltsicht zu tun. Die beiden kommen erkennbar aus dem gleichen Stall – und der ist, auch wenn sie das nicht wahrhaben wollen, nicht nur protestantisch, sondern auch sehr ostdeutsch. Auf lange Zeit werden Angela „Mädchen“ Merkel und Joachim „Behörde“ Gauck die wahren Gesichter der deutschen Krisenbewältigung sein.
Vielmehr fürchtet Merkel, dass Gauck, besoffen von der eigenen Wichtigkeit, zu wenig Rücksicht auf tagespolitisch-pragmatische Notwendigkeiten der lautlosen Führung der Regierungsgeschäfte nehmen und ihr damit auf die Füße treten könnte.
Das ist dieses Mal, in der Führungsakademie der Bundeswehr jedoch noch nicht geschehen. Warten wir also ab, welchen Ruck der Bundespräsident für die nächste Rede vorbereitet hat. Danièl Kretschmar
Contra
Man muss den Bundespräsidenten nicht mögen. Man kann sich auch darüber aufregen, dass jemand derartig Konservatives wie Joachim Gauck von SPD und Grünen aufgestellt wurde. Auch verdient es ein Bundespräsident, dass seine Worte auf jede erdenkliche Goldwaage gelegt werden – der Mann soll schließlich den universell anschlussfähigen Gesamtrhetor der Bundesrepublik abgeben.
Eines aber hat Joachim Gauck diese Woche nicht getan: für mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr geworben. Er hat noch nicht einmal für die laufenden Auslandseinsätze geworben.
Wer ihn nun, wie die neue Linken-Chefin Katja Kipping, zum „Kriegspropagandisten“ erklärt, hat die Rede Gaucks vor der Führungsakademie der Bundeswehr entweder nicht gehört – oder leidet unter verschobenen Bewertungsmaßstäben. Denn sonst müsste wirklich jeder, der sich nicht zum vollständigen Gewaltverzicht bekennt, sich diesen Vorwurf anziehen. Es gäbe nur zwei Sorten Menschen: Pazifisten und Kriegstreiber.
Gauck hat bei seinem Bundeswehr-Besuch eine weitere seiner leicht übersteuert-wertigen Reden gehalten, die stets um einen ärgerlich diffusen Freiheitsbegriff kreisen. Gauck verwendete sein bekanntes Argumentationsrezept: ein deutsch-deutscher Patriotismus mit dem entscheidenden, aber billigen Vorteil, dass das Objekt der Abgrenzung und Abwertung vor 22 Jahren auseinandergefallen ist. Soll heißen: Er musste die schreckliche DDR erleben, deshalb ist in der Bundesrepublik sowieso alles super. Inklusive Bundeswehr.
Über deren Aufgabe aber hat Gauck nicht gesagt, dass sie bald in mehr Auslandseinsätze geschickt würde oder werden sollte. Er hat die aktuellen Auslandseinsätze „auf drei Kontinenten“ auch nicht explizit gutgeheißen, sondern bloß festgehalten, dass diese vor 20 Jahren kaum vorstellbar gewesen seien. Dass die Idee hinter diesen Einsätzen laute, dass Gewalt „notwendig und sinnvoll sein kann, um Gewalt zu überwinden“. Daraus folge: „ ’Ohne uns‘ als purer Reflex kann keine Haltung sein“. Eine funktionierende Demokratie „erfordert Mut und manchmal den Einsatz des eigenen Lebens“. Der Gedanke an deutsche Gefallene sei „für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen“, doch eine Diskussion über Ziel und Zweck von Auslandseinsätzen in der „Mitte der Gesellschaft“ notwendig.
„Glückssüchtige Gesellschaft“ – ja, Gauck arbeitet sich am Hedonismus ab. Es hat halt jeder sein eigenes Päckchen zu tragen. Der Grund aber, warum Spiegel Online am Dienstag die Nachricht „Gauck wirbt für Auslandseinsätze der Bundeswehr“ hochzog und damit die ersten, recht aufgeregten Reaktionen nicht nur von Kipping provozierte, liegt natürlich nicht darin, dass Gauck irgendeine rote Diskurslinie überschritten hätte. Vielmehr zitierte die Nachrichtenwebsite sich hier journalistisch augenzwinkernd gewissermaßen selbst und kokettiert mit ihrem Einfluss. Denn es war das Spiegel-Portal, das am Sturz von Gaucks Vorvorgänger Horst Köhler einen wichtigen Anteil hatte. Es kolportierte Köhlers Aussagen zur Rolle der Bundeswehr im Mai 2010 in einer Weise, dass die folgende Diskussion ihm Anlass zum Rücktritt gab.
Nun hatte auch Köhler nichts anderes gesagt, als seit Jahren im „Weißbuch“ der Bundeswehr steht, hatte sich aber typgemäß ungeschickter ausgedrückt. Gaucks Auftritt scheint nun weniger dramatische Folgen zu haben. Doch zeigt die zwischenzeitliche Aufregung um seine Worte ironischerweise, wie recht er in einem wichtigen Punkt hat.
Denn nur weil die Diskussion über Bundeswehreinsätze noch längst nicht in der „Mitte der Gesellschaft“ stattfindet, landet die Diskussion über solche Bundespräsidentenauftritte regelhaft in politischen Sackgassen.
Würde man nicht gleich „Kriegspropaganda“ schreien, könnte man Gauck zum Beispiel auch dafür kritisieren, dass er nicht den Mut hatte, vor den Offizieren der Bundeswehr den beschämend missglückten Afghanistan-Einsatz zu kritisieren. Aus dem zu lernen wäre, dass Auslandseinsätze in den vergangenen 20 Jahren unbedacht beschlossen wurden.
In der „Mitte der Gesellschaft“ bräuchte man nicht bloß FunktionsträgerInnen dabei zuschauen, wie sie über eine verbreitete, strittige, aber nicht gänzlich abwegige Argumentation in gespielte Ohnmacht fallen. Es wäre dort ja auch Platz für Argumente. Ulrike Winkelmann
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