Pro Asyl über den Flüchtlingsdeal: „Keine europäische Lösung“
EU und Türkei haben sich in Brüssel auf ein Flüchtlingsabkommen geeinigt. Menschenrechtler und Asyl-Aktivisten sind empört.
taz: Wer als Flüchtling in der Türkei landet, ist dem Krieg entronnen und erst mal in Sicherheit. Nach dem Willen der EU sollen Flüchtlinge deshalb dort bleiben. Was ist dagegen einzuwenden?
Karl Kopp: Bei aller Wertschätzung für die Türkei bezogen auf die Flüchtlingsaufnahme: Sie ist kein sicheres Drittland. Man versucht jetzt, Flüchtlinge in einem Hauruck-Verfahren in ein unsicheres Land zurückzuschaffen. Das ist keine europäische Lösung. Das ist ein Outsourcing-Programm und damit wird das individuelle Asylrecht untergepflügt.
Untergepflügt? Die EU möchte doch, dass Griechenland die Asylanträge individuell prüft. Das Ergebnis wäre eben meistens, dass der Flüchtling in der Türkei in Sicherheit wäre und deshalb zurück muss.
Kein Schutzsuchender darf irgendwo abgeladen werden, wo er einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wird. Flüchtlinge sind dieser Gefahr in der Türkei ausgesetzt, das belegen dokumentierte Fälle von Abschiebungen in den Irak oder nach Syrien. Wir werden auf die Sicherheit von Flüchtlingen bestehen und solche Fälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen.
Karl Kopp ist Europareferent bei Pro Asyl und vertritt die Organisation im Europöischen Flüchtlingsrat ECRE.
Die EU fordert von der Türkei, die Sicherheit von Flüchtlingen in Zukunft zu garantieren. Wenn Ankara das macht: Was sollen europäische Gerichte noch einwenden?
Läge Frankfurt am Mittelmeer, würde ich jeden Tag schwimmen gehen. Flüchtlinge haben in der Türkei keine menschenwürdige Unterbringung und keinen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren. Dieser Deal hat nichts mit Flüchtlingsschutz zu tun, sondern ausschließlich mit Abwehr und Abschreckung.
Ohne den Deal würden sich Flüchtlinge weiterhin in Griechenland stauen, ohne weiter nach Norden zu können. Wäre das besser?
Von dem Gipfel geht kein positives Signal an die Flüchtlinge von Idomeni oder Athen aus. Für die gibt es keine neuen legalen Wege. Das ganze Programm soll angeblich die Schlepper bekämpfen, ist für die aber in Wahrheit ein Freudenfest: Weil die Ägäis und die Balkanroute dicht sind, müssen Schutzsuchende noch mehr Geld investieren, um nach Zentraleuropa zu kommen. Das Sterben wird weitergehen.
Trotzdem: Ohne den Türkei-Deal würden in Zukunft noch mehr Flüchtlinge in Griechenland festsitzen. Wäre das besser?
Man löst die sogenannte Flüchtlingskrise doch nicht, in dem man niemanden mehr reinlässt. Die Krisen in der Welt eskalieren schließlich weiter. Wer die europäischen Werte als Verantwortlicher ernst nimmt, würde sich also hinstellen und sagen: Wir müssen uns darauf einstellen, weiterhin Schutzsuchende aufzunehmen und werden deshalb legale Einreisewege öffnen. Das Abkommen ist das glatte Gegenteil davon: eine Delegation der Verantwortung an den neuen Flüchtlingskommissar der EU, an Herrn Erdogan.
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