Pro & Contra Bebauung Tempelhofer Feld: Das Spannungsfeld
Vor fünf Jahren entschieden die Berliner: Das Feld bleibt frei. Jetzt werden Stimmen laut, die eine Randbebauung fordern. Ist das richtig?
Ja,
denn auch Feld-Fans sollten zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welt weiterdreht. Wer heute eine Wohnung sucht, muss etwa in Friedrichshain-Kreuzberg mit 13 Euro pro Quadratmeter kalt rechnen. Vor fünf Jahren zahlte man dort nach einem Umzug im Schnitt noch 10 Euro.
Wenn die Mieten in so kurzer Zeit so krass steigen, verschiebt das die Prioritäten: Bei einer Umfrage sprachen sich kürzlich 59 Prozent für eine Randbebauung des Feldes aus. Die Meinungen haben sich seit 2014 also gedreht. Und natürlich muss es in so einer Situation möglich sein, auch ein per Volksentscheid beschlossenes Gesetz wieder zu ändern. Alles andere bedeutete ewigen Stillstand.
Feiern! Am 25. Mai 2014 stimmten die BerlinInnen über das Tempelhofer Feld ab: 64,3 Prozent lehnten jegliche Bebauung ab. Der Verein 100% Tempelhofer Feld, Träger des Volksbegehrens, lädt deshalb am Samstag zur Kundgebung „Feld for future“ ein. Mit Livebands und Reden soll das Jubiläum gefeiert werden. (all)
Zwar stimmt: Über den Willen der BerlinerInnen sollte sich niemand leichtfertig hinwegsetzen. Vor fünf Jahren sprachen sich 64 Prozent gegen jede Bebauung des Tempelhofer Feldes aus. Dass Rot-Rot-Grün das Feld in dieser Legislaturperiode nicht mehr antasten will, kann man nachvollziehen. Irgendwann ist eine solche gefühlte Schonfrist – die Gesetzgebung sieht sie gar nicht vor – aber vorbei.
Zumal eine Randbebauung eine Riesenchance wäre für Berlin: Angesichts des Drucks auf dem Wohnmarkt wirbt die SPD jetzt dafür, dort nur kommunales Wohnen oder Genossenschaften, auf jeden Fall mit einem hohen Anteil an Sozialwohnungen zuzulassen. Auch manche Grüne finden das gut. Wenn in der Innenstadt ein bezahlbares Viertel entstünde, wäre das für Wohnungssuchende ohne viel Geld eine tolle Nachricht. Und es würde rundum auch die berühmte Berliner Mischung wahren, schließlich sind neue Wohnungen in angrenzenden Kiezen – Bergmannstraße, Fliegerviertel, Schillerkiez – fast nur noch für Besserverdienende zu haben.
Verfechter des freien Feldes suggerieren gerne, es sei vorbei mit der Idylle, wenn gebaut wird. Das ist falsch. Es geht um eine Randbebauung, niemand stellt in Frage, dass das Feld als riesige Grünfläche erhalten bleiben soll. Vielleicht bleibt der Blick dann am Horizont an Häusersilhouetten hängen statt an der Stadtautobahn oder den Bäumen am Tempelhofer Damm. Aber wenn das der Grund ist, bezahlbare Wohnungen für Tausende zu verhindern, ist das schon ziemlich schnöselig. Antje Lang-Lendorff
Nein,
denn das Feld ist für Berlin und seine Bewohner ein Schatz, eine Oase mit Horizontblick, ein Geschenk in einer immer mehr verdichteten Stadt. Berlin braucht solche Orte, um lebenswert zu sein, und zwar ohne Kompromiss.
Warum holzen wir nicht den Tiergarten ab? Oder legen die Spree trocken, um für Mediaspree-Angestellte arbeitsnahe Wohnsilos zu schaffen? Und zum Ausgleich gibt es einen Park auf dem Gelände des heutigen Willy-Brandt-Hauses! Absurd? Ja – genauso wie die Diskussion um eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes.
Berlin braucht das freie, unbebaute und nicht durch jahrelangen Baustellenterror malträtierte Feld auch, um eine demokratische Stadt zu bleiben. Der Volksentscheid hat demokratischen Frieden geschaffen. Die Illusion der Mitbestimmung hat sich für einen Moment manifestiert; die Stadtgesellschaft hat sich behauptet gegen die Mehrheit der Politiker. Diesen Frieden aufzukündigen, wie es insbesondere die SPD gerade tut, desillusioniert mehr als jedes uneingelöste Wahlversprechen. Auch ein zweiter Volksentscheid würde daran nichts ändern. Das Volk so lange abstimmen zu lassen, bis es die richtige Meinung hat, ist elitäre Verachtung.
Gerade hat der Senat seinen Stadtentwicklungsplan vorgelegt, der genau bestimmt, wo in den nächsten elf Jahren 199.000 Wohnungen geschaffen werden können. Geht es an! Über ein paar tausend Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld zu schwadronieren, geht am Bedarf der Stadt völlig vorbei. So zu tun, als wären sie die Lösung im Kampf gegen den Mietenwahnnsinn, ist Demagogie. Überhaupt muss der SPD-Vorstoß als Strategie gesehen werden, sich als Baupartei gegen die „Bauverhinderer“ der Linken zu positionieren.
Totgeschwiegen wird derweil ein Vorschlag des Architekten Arno Brandlhuber, auf dem Dach des Flughafengebäudes zu bauen. 3.500 Wohnungen wären hier drin, etwa so viele, wie am Rand entstehen sollen. Wer unbedingt Wohnungen am Feld will: Da könnt ihr sie haben. Erik Peter
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