Privatisierte Wochenmärkte: Wenn die Aufsicht eine Firma ist
Die Wochenmärkte in Bergedorf könnten in private Hand gegeben werden. Marktbeschicker befürchten steigende Kosten und würden sich notfalls selbst verwalten.
Der Bezirk Bergedorf stellt Überlegungen an, seine vier städtischen Wochenmärkte in private Hand zu geben. Das hat eine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsabgeordneten Dennis Gladiator ergeben. Es seien bereits Gespräche mit möglichen privaten Betreibern geführt worden, heißt es in der Senatsantwort.
Betroffen wären die Märkte in der Crysanderstraße, am Werner-Neben-Platz, am Fleetplatz und am Lohbrügger Markt. Die Marktbeschicker sind besorgt. „Wir befürchten vor allem, dass die Standgebühren angezogen werden“, sagt Klaus Elberling, Sprecher der Marktgemeinschaft Bergedorf-Lohbrügge.
Grund für die Überlegungen sind offenbar Sparauflagen des Senats. Im Bezirksamt Bergedorf kümmern sich derzeit sechs Mitarbeiter um die Organisation und Durchführung der Wochenmärkte. Der Senat sei der Meinung, ein privater Betreiber könne „deutlich flexibler agieren“. Gladiator versteht das nicht: „Es hat doch bisher auch funktioniert.“ Für ihn handelt es sich um ein reines Hilfsargument, um davon abzulenken, dass der Sparzwang des Senats auf Kosten der Bürger gehe. „Ein privater Betreiber wird den geltenden Gebührenrahmen vermutlich ausschöpfen, was vor allem für kleinere Marktversorger zum Nachteil wird“, sagt er.
In Hamburg gibt es 48 städtische Wochenmärkte, vier davon liegen im Bezirk Bergedorf.
Seit etwa 1950 werden die Märkte auf den Bergedorfer Plätzen abgehalten.
Rund 155 Markthändler bieten in Bergedorf ihre Waren regelmäßig an. Einige von ihnen betreiben ihre Stände bereits in der zweiten, dritten oder gar vierten Generation.
Ein privater Abendmarkt in Bergedorf musste im Juni schließen: Die Nachfrage war zu gering.
Außerdem gibt er zu bedenken, dass Wochenmärkte über die Nahversorgung hinaus auch eine gesellschaftliche Aufgabe hätten: Lokale Wochenmärkte förderten den Absatz von Produkten aus der Region. Nicht ohne Grund habe man soviel Geld in die Märkte investiert.
Gladiator spielt auf das EU-geförderte Projekt „Markt der Zukunft“ an, mit dem Marketingmaßnahmen entwickelt und umgesetzt wurden. Bergedorfs Wochenmärkte sollten dadurch gestärkt werden, auch das Bezirksamt war mit etwa 63.000 Euro beteiligt.
Die Interessengemeinschaft der Marktbeschicker spricht sich klar gegen eine Privatisierung aus. Über 100 Unterschriften hat sie bisher gesammelt, um ihrem Ansinnen Nachdruck zu verleihen. Auch Carola Timm, Kreisvorsitzende der Bergedorfer Grünen, hat sofort unterschrieben. Wenn es nur noch um Gewinnmaximierung gehe, sehe sie eine jahrzehntelang gewachsene Struktur in Gefahr: „Und das nur, um im Bezirksamt ein paar wenige Stellen für die Marktbetreibung einzusparen“, sagt Timm.
Geht es um das sichere Fortbestehen der Bergedorfer Wochenmärkte, haben auch Elberling und Wilfried Thal, Präsident des Landesverbandes des Ambulanten Gewerbes, eine klare Position. Beide sehen die Wochenmärkte in städtischer Hand besser aufgehoben. „Dort sind wir an das Gebührenrecht gebunden, die Verwaltung muss nicht zusätzlichen Kontakt zu anderen Stellen aufnehmen und hat außerdem noch beste Verbindungen in die Politik“, sagt Thal. Bisher steht er der Aufregung allerdings gelassen gegenüber: „Als letzten Schritt“, sagt er, „gibt es immer noch die Möglichkeit der Selbstverwaltung.“
Der Verband trete bereits bei mehreren Märkten unter anderem in Neugraben und Reinbek als privater Betreiber auf, um die Grundabsicherung über die Märkte zu gewährleisten. „Uns ist wichtig, dass die Märkte erhalten bleiben“, sagt Thal. Er wolle aber zunächst abwarten, was bei den Überlegungen raus kommt. Bisher sei noch niemand mit ihm in Kontakt getreten. Im September soll ein konkretes Konzept des Bezirksamtes vorliegen.
Nach Auskunft des Senats plant bisher kein weiterer Bezirk, die städtischen Wochenmärkte zu privatisieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin