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Private Versicherung wie bei der Auto-Haftpflicht

■ Interview mit Achim Seffen, Referatsleiter Sozialpolitik beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, zur Finanzierung der Pflegebedürftigkeit im Alter

taz: Herr Seffen, nicht nur die Gewerkschaften, auch die Arbeitgeber lehnen eine Finanzierung der Pflegeversicherung mithilfe von Karenztagen ab. Welche Alternativen sehen die Arbeitgeber, die steigende Pflegebedürftigkeit im Alter künftig abzudecken?

Achim Seffen: Ich bin mit der gesamten Wirtschaft der Meinung, daß eine privatrechtliche, auf Kapitalbasis fundierende Pflegeversicherung ein besserer Weg wäre als die von Blüm vorgeschlagene umlagefinanzierte soziale Pflegeversicherung. Dabei könnte man stufenweise einsteigen, indem man alle Berufsanfänger verpflichtet – ähnlich wie die Auto-Haftpflichtversicherung –, eine Pflegeversicherung bei einer privaten Krankenversicherung abzuschließen. Man kann für diese Verträge gewisse Mindestbedingungen vorschreiben, auch eine gewisse Mindestleistung.

Der Beitritt wäre also obligatorisch?

Das müßte schon eine Pflichtversicherung sein, weil jungen Leuten mit 20, 25 Jahren die Pflege im Alter soweit entfernt erscheint, daß vielleicht unmittelbare Konsumbedürfnisse höher eingeschätzt würden als die Vorsorge für das Alter.

Was würde das den einzelnen kosten?

Man würde sich dann Jahrgang um Jahrgang, so wie man eben im Berufsleben steht, pflegeversichern. Bei dem derzeitigen Stand könnte ein Berufsanfänger beispielsweise mit 25 Mark im Monat einsteigen. Im Prinzip würde dieser Beitrag dann, was das Risiko angeht, konstant bleiben. Der Anteil, der die Kosten betrifft, würde aber natürlich steigen, je nachdem sich die Kosten entwickeln.

Was müßten denn ältere Menschen zahlen?

Wer jetzt mit 50 Jahren einsteigt, müßte vielleicht 50 Mark bezahlen, aber das kann man nur als Anhaltspunkt nehmen.

Der Staat würde die Arbeitnehmer also geradezu in eine Pflegeversicherung zwingen. Die Arbeitgeber würden sich bei diesem Modell aber aus der sozialen Verantwortung stehlen, eigentlich eine ziemlich bedenkliche Kombination...

Die Arbeitgeber stehlen sich nicht aus der Verantwortung, denn das Pflegerisiko ist nicht ihre Verantwortung. Das ist ein Schicksal, das die Menschen ereilt, wenn sie beispielsweise 75 Jahre oder älter sind. Das liegt nicht mehr in der Verantwortung der Arbeitgeber. Da wo sie Verantwortung haben, nämlich bei den Pflegefällen, die auf Betriebsunfällen, Berufskrankheiten, Unfällen auf dem Weg zur Arbeit beruhen, da zahlen die Arbeitgeber über die Unfallversicherung. Die Unfallversicherung wird nur von den Arbeitgebern finanziert, da gibt es keinen Arbeitnehmerbeitrag. Und die Unfallversicherung leistet bei Pflege – und zwar in höherem Maße, als Minister Blüm das vorgesehen hat – zeitlich unbegrenzt.

Bei dem Modell der Arbeitgeber würden sich die Beiträge nach dem Eintrittsalter richten, aber nicht nach dem Einkommen. Darin steckt ja auch ein Moment der sozialen Ungerechtigkeit, das die einkommensabhängige Finanzierung des Blümschen Modells nicht hat ...

Mit diesem sozialen Gesichtspunkt könnten Sie überall ansetzen. Jemand, der 10.000 Mark verdient, zahlt beim Bäcker das gleiche Geld fürs Brot wie jemand, der weniger verdient. Notfalls müßte man eben bei Einkommensschwachen dann einen Zuschuß zu den Beiträgen leisten.

Wäre mit den von Ihnen in diesem Zusammenhang genannten Beiträgen denn auch eine ausreichende Absicherung des Pflegerisikos gewährleistet?

Es handelt sich um ein Risiko, das sich noch relativ preiswert abdecken läßt. Man schätzt, daß wir im Jahr 2000 etwa 2,5 Millionen Pflegefälle haben werden, bei einer Bevölkerung von 80 Millionen. Davon sind etwa 500.000 in Pflegeheimen untergebracht, das sind die ganz teuren Fälle. Allerdings steckt in dem Modell noch nichts für die bereits jetzt Pflegebedürftigen. Da müßte man also Übergangslösungen entwickeln.

Bisher sind Pflegefälle im Zweifelsfall Sozialfälle. Sind sich die Arbeitgeber darin einig, daß die Grundsicherung der Sozialhilfe nicht ausreicht?

Die Sozialhilfe reicht eigentlich schon aus, weil die Sozialhilfe ja die Kosten deckt, die bei einer Pflege fehlen. Nur, es wird von der Politik ja gesagt, die Sozialhilfe ist diskriminierend. Ich teile diese Meinung nicht, aber es wird so dargestellt, die armen Leute rutschen dann ab. Man könnte es auch anders regeln. Man könnte auch die Pflegehilfe als Teil der Sozialhilfe verselbständigen und anstelle der Pflegeversicherung dieses System ausbauen. Es müßten, um den Gemeinden zu helfen, die unter dieser Last furchtbar stöhnen, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden andere Verteilungsmodalitäten ausgehandelt werden – im Rahmen der üblichen vertikalen Finanzverteilung. Interview: Barbara Dribbusch

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