Privat unterrichtet: Ziemlich reiche Freunde
Laut einer Studie kontrolliert Bremen die Privatschulen nicht ausreichend und fördert so die soziale Spaltung. Die Bildungsbehörde sieht das anders
Segregation von Kindern nach sozialem Status der Eltern: Das Land Bremen duldet, wie sich Privatschulen sozial abschotten und ignoriert dabei das Grundgesetz. So jedenfalls lautet der Vorwurf einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).
In Bremen gebe es einen „überschaubaren, aber vorhandenen Trend“ hin zu Privatschulen, sagt Andreas Staets, Landesgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Bremen. Schuld daran sei die schlechte Finanzierung der öffentlichen Schulen. Derzeit gehen im Land Bremen rund zehn Prozent der SchülerInnen auf Privatschulen (siehe Infokasten).
Private Ersatzschulen sind nur erlaubt, „wenn eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird“. So will das Grundgesetz Eliteschulen von Besserverdienenden verhindern. Laut bisheriger Rechtsprechung müssen staatliche Behörden darum fortlaufend sicherstellen, dass Privatschulen nicht nur Kinder reicher Eltern aufnehmen.
Bremen beachtet keine der neun Vorgaben, die der Studie zufolge eine „effektive Einhaltung“ des Sonderungsverbots gewährleisten. Dabei sei gerade Bremen hinsichtlich der sozialen Segregation eine „Stadt mit Sprengstoff“, so Bildungssoziologie Marcel Helbig.
6.559 von 65.281 SchülerInnen verteilen sich im aktuellen Schuljahr auf 18 Privatschulen im Land Bremen. Das sind 10,04 Prozent.
Bundesweit gingen im vergangenen Schuljahr 8,9 Prozent der SchülerInnen auf eine Privatschule.
Bis zu 450 Euro Schulgeld zahlen Eltern abhängig von ihrem Einkommen.
Maximal 160 Euro durchschnittliches Schulgeld hält die Rechtsprechung für angemessen.
Das Sonderungsverbot gilt nur für Ersatzschulen, deren Abschlüsse mit denen der staatlichen Schulen vergleichbar sind.
Die staatliche Förderung wird aus diesem Verbot abgeleitet.
Zusammen mit dem Rechtswissenschaftler Michael Wrase untersuchte er, ob die Bundesländer dem Sonderungsverbot nachkommen. Die von der Studie aufgestellten Kriterien erfüllt kein Bundesland gänzlich. Bremen und Thüringen bilden das Schlusslicht.
Die Bildungsbehörde weist die Kritik zurück. „Wir achten auf eine soziale Staffelung beim Schulgeld“, so ihre Sprecherin Miriam Schmidt. Dafür gebe es zudem Stipendien, die aber nicht statistisch erfasst würden.
Im Zuge des Aufnahmeverfahrens werde die Behörde außerdem über die aufzunehmenden SchülerInnen informiert. Danach erhebe die Bildungsbehörde jährlich die Höhe der Schulgelder. Eine Höchstgrenze gibt es laut Schmidt jedoch nicht. Auch sei auf dieser Grundlage noch keiner Privatschule die Genehmigung entzogen worden.
Als „unbefriedigend“ bezeichnen die Autoren der Studie die Verwaltungspraxis in Bremen. „Es wird nicht definiert, welches durchschnittliche Schulgeld erhoben wird und wie viel Prozent der Plätze über Stipendien vergeben werden.“ Ein Monitoring, das allein auf Schulgeldern basiere, entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben.
Die Wissenschaftler kritisieren auch, dass das Bremische Privatschulgesetz das Sonderungsverbot nicht konkretisiert. „So bleiben die Kriterien für die Einhaltung weitgehend offen“, so Rechtswissenschaftler Wrase.
Thomas vom Bruch, bildungspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, wiegelt ab: „Ein Interesse an sozialer Segregation kann ich nicht erkennen.“ Er sehe daher keinen Bedarf für zusätzliche Regelungen.
Der CDU-Sprecher betont, dass der freien Schulwahl die Privatschulfreiheit entgegensteht. „Beides hat Verfassungsrang“, sagt vom Bruch. Demnach dürfen die Privatschulen selbst entscheiden, welche SchülerInnen sie aufnehmen. Als „falsche Wiedergabe des Grundgesetzes“ bezeichnet das Studien-Autor Helbig. Er sagt: „Die Privatschulfreiheit gilt nur dann, wenn eine Sonderung ausgeschlossen ist.“ Und das sei nur erreichbar über landesgesetzliche Regelungen, die über die Formulierung des Grundgesetzes hinausgehen. Diese sollten eine Höchstgrenze der durchschnittlichen Schulgelder vorgeben oder die Kontrolle der Aufnahmepraxis von Privatschulen regulieren.
Kristina Vogt, bildungspolitische Sprecherin der Linken, teilt die Kritik der Studie: „Es gibt keine automatische Berücksichtigung geringer Elterneinkommen.“ Ein solcher Nachlass sei gesondert zu beantragen und daher eine „Hürde“ für betroffene Eltern.
Vogt kritisiert weiterhin, dass Privatschulen und Bildungsbehörde die Aufnahme geflüchteter SchülerInnen nicht gemeinsam lösten (taz berichtete). Sie sagt: „Wir hätten es begrüßt, wenn sich auch Privatschulen an dieser Aufgabe beteiligen könnten.“ Stattdessen finde auch hier nur eine weitere Absonderung statt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Alles zur Bundestagswahl
Grüne Manöver vor dem Wechsel
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an