Pressefreiheit in Österreich: FPÖ ohne jeden Standard
Die Wiener FPÖ schießt gegen den „Standard“. Die Zeitung hatte die rechtsradikalen Umtriebe eines Kandidaten bei der Landtagswahl offengelegt.

Die Wiener Landtagswahl ist mit erwartetem Ergebnis zu Ende gegangen: Die Koalition zwischen SPÖ und Neos wird fortgesetzt. Die rechtsradikale FPÖ, bundesweit im Aufwind, gewann zwar deutlich dazu, blieb aber hinter früheren Erfolgen deutlich zurück. Vielleicht ist das der Grund, warum sie nun gar so dünnhäutig auf kritische Berichterstattung reagiert. Die Wiener Tageszeitung Standard hatte kurz vor der Wahl über die bekannt gewordene NS-Wiederbetätigung eines FPÖ-Kandidaten berichtet.
Die Wiener Landespartei schoss jetzt gegen die Zeitung: „Man nutzt ja jeden Fehler aus um gegen die FPÖ zu punkten“, schreibt der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp in einem Posting. „Die letzten Wochen eines Lebens noch zusätzlich mutwillig zu ruinieren und sich dabei moralisch überlegen zu fühlen – das schaffen wirklich nur Vertreter der selbsternannten linken Anstandselite.“ Die Standard-Journalistin, die die Vorwürfe aufgedeckt hat, nannte er darin beim Namen und kritisierte sie vehement. Hintergrund des Postings: der FPÖ-Kandidat ist laut Parteiangaben am 6. Mai nach schwerer Krankheit verstorben.
Die Rede ist vom FPÖ-Bezirkspolitiker Robert Podany, der letzten Dezember wegen NS-Wiederbetätigung verurteilt wurde. Podany war bis 2020 Bezirksrat in Donaustadt, einem der größten Wiener Bezirke, schaffte den Einzug dann aber nicht mehr. Nun war er wieder angetreten, obwohl er im Dezember rechtskräftig verurteilt worden war.
Wie der Standard berichtete, hatten Ermittler bei einer Hausdurchsuchung mehrere NS-Devotionalien gefunden: unter anderem eine Weinflasche mit Aufschrift „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“, eine Tasse mit dem Nazi-Kürzel „88“ sowie eine Jacke der einschlägigen Marke Thor Steinar. Entsprechende Vorwürfe wurden bereits 2020 bekannt.
89 Delikte
Zudem gab es Chatverbindungen zu dem Neonazi Gottfried Küssel und den Identitären. Wie die Plattform „Stoppt die Rechten“ berichtet, schrieb Podany menschenverachtende Witze über den Holocaust, die hier nicht wiedergegeben werden sollen. Hakenkreuze und Hitlerfotos verschickte er ebenso wie Zustimmungsbekundungen zu rechtsextremen Überfällen, etwa auf das Ernst-Kirchweger-Haus in Wien. Angeklagt waren, auch im Zuge von Handyauswertungen, nicht weniger als 89 Delikte. Im Dezember schließlich wurde Podany in Wien rechtskräftig zu 17 Monaten bedingter Haft verurteilt.
Mit einer solchen Strafe hätte er, gemäß Wiener Wahlordnung, nicht bei der Landtagswahl vor wenigen Wochen kandidieren dürfen. Podany war dennoch gelistet und blieb wählbar. Die FPÖ Wien will von den Vorwürfen und der Verurteilung nichts gewusst haben: „Die FPÖ war über diesen Umstand nicht informiert. Leider wurden wir von der zuständigen Magistratsabteilung auch nicht rechtzeitig in Kenntnis gesetzt“, heißt es. Dass niemand von Podanys Geisteshaltung gewusst haben will, halten politische Mitstreiter für ausgeschlossen.
Zuletzt war Podany laut FPÖ-Angaben kein Parteimitglied mehr. Beim Prozess Anfang Dezember hat er sich Berichten zufolge geständig und reuig gezeigt – wiewohl „Stoppt die Rechten“ an der Einsicht zweifeln, da kurz danach die Urteilsschrift in einem Neonazi-Kanal aufgetaucht war, mutmaßlich von ihm veröffentlicht. Auf den Stimmzetteln für die Wien-Wahl blieb Podany trotz des Urteils gelistet, für einen Einzug in die Bezirksvertretung hat das Ergebnis jedoch nicht gereicht.
Über all das berichtete der Standard – und muss sich nun die Vorwürfe von Nepp anhören. Die FPÖ versucht offenbar gar nicht mehr, auf Distanz zu offen zur Schau gestelltem Rechtsextremismus zu gehen. Das belegen auch die rund 150 von „Stoppt die Rechten“ dokumentierten rechtsextremen „Einzelfälle“ allein in den letzten vier Jahren – die taz hat vielfach berichtet.
Der Wiener FPÖ-Chef Nepp hatte erst im Januar den Standard als „Scheißblatt“ tituliert und ihm eine Kürzung der Medienförderung angedroht. Auch damals hatte die Zeitung über rassistische Aussagen von FPÖ-Mandataren berichtet, die vom Sender France Télévisions mit versteckter Kamera aufgenommen worden waren.
Der Standard lässt sich von der Kritik nicht unterkriegen: „Wir weisen die Angriffe der FPÖ Wien auf eine Standard-Journalistin, die nichts weiter als ihren Job gemacht hat, entschieden zurück“, heißt es in einer Stellungnahme der Chefredaktion. Dass ein wegen NS-Wiederbetätigung verurteilter FPÖ-Kandidat bei der Wahl angetreten ist, sei „im öffentlichen Interesse selbstverständlich berichtenswert“.
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