Pressefreiheit in Hongkong: Dystopische Vergeltung
Jimmy Lai ging für Demokratie auf die Straße und nannte Chinas Präsidenten Xi einen Diktator. Nun wurde der Hongkonger Medienmogul verhaftet.
Die meisten Geschäfts-Tycoons der Finanzmetropole blieben stumm gegenüber der zunehmenden Machtübernahme von Chinas autoritärem Regime. Zu groß war die Angst vor wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen. Jimmy Lai hingegen sprach stets die Dinge aus, wie sie sind: Xi Jinping nannte er einen Diktator, Hongkongs Protestbewegung unterstützte er mit voller Leidenschaft. Mehr noch, er zog regelmäßig in erster Reihe mit den schwarz gekleideten Aktivisten, die vom Alter her seine Enkelkinder sein könnten, auf die Straße.
Nun wurde der Medienmogul verhaftet, genau wie zwei seiner Söhne und mehrere Mitarbeiter seiner Zeitung Apple Daily. Vorgeworfen wird ihm eine mutmaßliche Verschwörung mit ausländischen Mächten – ein Strafbestand auf Grundlage des umstrittenen Sicherheitsgesetzes, das Peking im Juli der Bevölkerung Hongkongs aufgezwungen hat. Auf Twitter sind dystopische Fotos der Razzia in Lais Büro zu sehen: Eine Hundertschaft uniformierter Polizisten stürmt die Räumlichkeiten.
Amnesty International wertet Lais Festnahme als Angriff auf die Pressefreiheit: „Die Anklage der Behörden – bislang ohne Erklärung – verdeutlicht, wie das vage nationale Sicherheitsgesetz dazu verwendet werden kann, um Personen mit unterschiedlichen politischen Ansichten zu verfolgen“, sagt Asien-Pazifik-Direktor Nicholas Bequelin.
Von Chinas Staatsmedien wurde Jimmy Lai seit Jahren bereits durch den Kakao gezogen – etwa als angeblicher Agent der CIA. Rund um die Uhr haben sie einen Fotografen vor seiner Hongkonger Villa postiert, um mögliche Kontakte aufzudecken. Dass Pekings Propagandaorgane dem 71-Jährigen derart viel Aufmerksamkeit widmen, spricht für seine Bedeutung als führender Kopf des prodemokratischen Lagers.
Geboren wurde er im südchinesischen Guangdong, als Zwölfjähriger floh Lai auf einem Boot vor den Kommunisten nach Hongkong. Dort arbeitete er sich als Arbeiter einer Textilfabrik nach oben, gründete schließlich das erfolgreiche Modeunternehmen Giordano. Doch schon damals standen seine politischen Ambitionen dem Geschäft im Weg: Nach dem Tiananmen-Massaker 1989, als Pekings Armee die Studentenbewegung blutig niederschlug, schrieb Jimmy Lai immer wieder kritische Essays. Die Kommunistische Partei begann, Giordano-Zentralen auf dem Festland zu schließen.
Jimmy Lai, Medienunternehmer
Lai verkaufte das Unternehmen und investierte ins Mediengeschäft. Seine Tageszeitung Apple Daily führte er vom Schmuddelblatt mit Prositutierteninseraten zum politischen Kampfblatt mit Boulevardanleihen. Er wirbt dort offen für die Protestbewegung – sehr zum Ärger der Kommunistischen Partei Pekings. Die hat längst mit ihrem Druck dafür gesorgt, dass kein Hongkonger Unternehmen mehr bei ihm Werbungen schaltet, was jährlich Einbußen von über 40 Millionen Dollar kostet. Dennoch ist Apple Daily das Blatt mit der zweitgrößten Auflage.
Das Gegenteil eines Intellektuellen
Jimmy Lai ist das Gegenteil eines Intellektuellen, er ist eher ein pragmatischer Machertyp, der wohl auch in der Schweinefleischindustrie oder als Immobilienspekulant Erfolg hätte. Doch trotz seines Unternehmertums hält er nie mit seiner Meinung hinterm Berg: Das nationale Sicherheitsgesetz von Peking bezeichnete er als „Todesstoß für Hongkong“. Im Juni sagte er der Nachrichtenagentur AFP, dass er „auf das Gefängnis vorbereitet“ sei. Schon zuvor war er mehrfach kurzzeitig festgenommen worden.
Im Zuge von Lais Verhaftung wurden auch die Redaktionsräume seines Verlagshauses Next Media durchsucht. Im stark zensierten chinesischen Netz ging die Meldung über Jimmy Lais Verhaftung fast unter. Auf Weibo, einer chinesischen Version von Facebook, wurde vor allem ein Kommentar des Hongkonger Filmregisseurs Wong Jing euphorisch geteilt: „Endlich können wir das neue Sicherheitsgesetz nutzen, um solche Verräter wie Jimmy Lai abzustrafen.“
Fast alle Kommentare sind negativer Natur: Als „Arschloch“ wird er von chinesischen Nutzern bezeichnet oder als „Separatist“. Dabei sieht sich Jimmy Lai selbst durch und durch als Chinese. Im Gegensatz zu der jungen Generation an Demonstranten verspürt er nach wie vor ein starkes Interesse an der Kultur seines Heimatlandes. Nun droht ihm „lebenslänglich“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend