■ Press-Schlag: Celtic St. Pauli gegen Dortmunder Südkurve
Im Presseraum des Dortmunder Westfalenstadions erwarten die Experten des geschriebenen Wortes, ermattet von glasklarer Analyse („glücklich, aber nicht unverdient“), die Trainer. Man will sich unterhalten. Infernalischer Krach von draußen verhindert es. Die Herren Hitzfeld und Brady erscheinen. Draußen donnern die Chöre weiter, und die Lautsprecheranlage muß schon ihr Bestes geben für die Analyserituale.
Die Borussia hatte gegen Celtic Glasgow das Zweitrundenhinspiel im UEFA-Cup 1:0 gewonnen. Und die BVB-Fans sind, so weiß man, ohrenbetäubend. Indes, den Lärm veranstalteten die Verlierer: Knapp 3.000 Celtic-Supporters, die ihre brave soccer stars frenetisch feierten. „Here we go, here we go“, god save celtic. Während der gesamten 90 Minuten eines mäßig erregenden Spiels (Devise: bloß kein Gegentor) hatten die Schreihals-Klassiker von der Insel die westfälischen Massen von der Südtribüne akustisch sicher beherrscht. Und das trotz fünffacher Unterlegenheit.
Die legendären BVB-Fanmassen: Ein paar bengalische Feuer zu Beginn, eine mäßig schwappende Ola und „Heja BVB“-Chöre, für die sie die rhythmische Vorgabe des Stadionlautsprechers brauchten. Dennoch: Alle Welt feiert die Südtribüne. Michael Schulz sagt, die Fans seien so einmalig, da würde er, etwa bei einem Angebot aus dem Stadion-Kühlschrank Uerdingen, nur wegen der schwarz-gelb gewandeten Massen, glatt auf 50.000 Mark mehr Gehalt per annum verzichten. Nüchterne Menschen wie Präsident Niebaum oder Manager Michael Meier, ein ehemaliger Jesuiten-Zögling, geraten in Verzückung, wenn man sie auf die heimischen Fans anspricht, und sehr gern argumentieren sie gegen das nüchterne Megabusineß Bundesliga mit Südtribünen-Verklärungen. Selbst der sonst so nüchternen Hamburger Zeit ist das Ruhrpott-Rührstück kürzlich eine Doppelseite wert gewesen: „Fußballschauen als Improvisationstheater, der Stadionbesuch wird zum Kulturfaktor.“
Nein, bei nüchterner Betrachtung müßte doch allen auffallen, daß der Westfale als solcher, insbesondere seine sauerländische Spielart, die zu Tausenden die Südtribüne bevölkert, nicht gerade ein heißblütiger Temperamentsvulkan ist. Die Dortmunder Fans, angeblich der erregendste Chor im deutschen Sport, sind höchstens wegen Masse laut und sonst kaum mehr als Legende. Gut 15.000, eng zusammengepfercht, bringen zwar ordentlich Dezibel, aber nur, wenn es — typisch deutsches Phänomen, so scheint's — bei der eigenen Mannschaft läuft und Tore geschossen werden. Die Südtribüne, kaum mehr als ein massenhafter Reflex auf das Rasengeschehen mit wenig Kreativität — es sei denn, man hält die langgezogen gerufenen Namen der Lieblinge dafür: „Schuulz“, choralen sie, wenn Michael Schulz das Leder führt, oder „Luusch“ oder „Knuut“ beim weithin überschätzten Neo-Bertibub Knut Reinhardt.
Anlaß zur Freude hatten allerdings auch deutsche Fans. In der U-Bahn plötzlich St.-Pauli- Sprechchöre vermischt mit schottisch dialektiertem Celtic- Jubel. „What the hell do you have to do with St. Pauli“, fragt der erstaunte Reporter. Im breitem Hamburgisch erklärt ihm der kaufmännische Angestellte Ralf, verziert mit Millerntor- Stickern, Celtic-Schals und -Shirts: Das sei doch klar, seit gut zwei Jahren gebe es eine innige Fan-Freundschaft, beide Clubs seien in ihrer Stadt die underdogs — hier der HSV, dort die Rangers — da gelte es zusammenzuhalten, und so sei man zu hundert hamburgischen Freunden eben nach Dortmund gefahren, um Celtic zu supporten. 150 seien es sogar in der Runde zuvor in Köln gewesen, und fünfzehn Paulis hätten schon den Flug fürs Rückspiel nach Glasgow gebucht. Tausend Mark, das sei es wert, wenn Fußball gegen rechts zelebriert werde: „St. Pauli — Celtic, Celtic... Can you hear Dortmund sing...?“
Nein, konnte man nicht. Der Kultchor von der Südtribüne hatte sich schweigend davongemacht. Weil der Sieg so dürftig war. Bernd Müllender
Celtic Glasgow: Bonner - McNalty, Mowbray, Gillespie, Boyd - O'Neil, McStay, Grant, Collins - Slater, Creaney (90. Nicholas)
Zuschauer: 35.800; Tor: 1:0 Chapuisat (71.)
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