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Press-SchlagBerlusconi in Bayern

■ Die Geldsäcke der Bundesliga auf den Irrwegen italienischer Gernegrößen

Silvio Berlusconi hatte einmal eine Idee. Nein, nicht die, Staatspräsident zu werden, das kam später. Der Besitzer des AC Mailand dachte sich, wie wunderbar es doch angesichts des Terminstresses im Fußball wäre, zwei vollständige und gleichwertige Mannschaften zu haben, deren eine in der Meisterschaft, die andere im Pokal und Europacup spielt. Und da Signore Berlusconi nie an seinen Ideen zweifelt oder sie sich gar ausreden läßt, begann er sofort, selbige umzusetzen.

Aber die Sache klappte nicht. Die Spieler, die nach Meinung des Präsidenten doch heilfroh über die Ruhepausen sein sollten, fingen umgehend an zu jammern. Sie wollten spielen, diese Banausen. Und auch Trainer Fabio Capello mochte sich nicht dazu durchringen, komplette Teams auszuwechseln, sondern ließ Eckpfeiler seines Systems wie Baresi, Maldini, Rijkaard, anfangs van Basten regelmäßig auflaufen, während Weltstars wie Papin, Savicevic, Gullit, Boban, Lentini, Massaro oder di Napoli auf Bank oder Tribüne rotierten. Die Unzufriedenheit stieg ins Unermeßliche, das Niveau sank rapide, reichte anfangs aber immer noch zum Meistertitel, hauptsächlich, weil die Konkurrenten Juventus Turin, Inter Mailand, Lazio Rom ähnliche oder schlimmere Mißwirtschaft betrieben.

Berlusconi hatte nicht bedacht, daß Fußballer, die ständig von Auswechslung bedroht sind, kaum noch den Ball treffen, weil sie dauernd zum Trainer schielen, und daß es sich Nationalspieler einfach nicht leisten können, längere Zeit auf der Bank zu verbringen, weil auf diese Weise Karriere und Marktwert zügig den Bach runtergehen. Von der desaströsen Entwicklung profitierten Vereine wie der AC Parma, der bescheiden auf ein homogenes, eingespieltes Team setzte, bis auch Milan und Juve ihr Irrweg aufging, sie den Wildwuchs an Fußballgenies reduzierten und prompt erheblich besser wurden.

Ausgerechnet dieses italienische Modell nehmen sich nun, kaum zu Geld gekommen, Bayern München und Borussia Dortmund zum Vorbild, die Folgen sind schon knappe zwei Monate nach Saisonbeginn wie erwartet. Während der BVB die Sache wegen der vielen Verletzungen noch einigermaßen im Griff hat und nur die Publikumslieblinge Zorc und Kutowski öffentlich mosern, geht es in München drunter und drüber. Papin, Sutter, Kreuzer und Scholl wollen nix wie weg, Herzog und Klinsmann, der ja vielleicht, wie bei Inter Mailand, eine Stammspielerklausel im Vertrag hat, aber keine Nicht- Auswechselklausel, grummeln noch verhalten.

„Die Verantwortlichen verweisen auf den AC Mailand, mit dem sich die Bayern so gern vergleichen, aber es kann doch nicht wirklich das Ziel des FC Bayern sein, wie der AC Mailand viele unzufriedene Spieler zu haben“, schimpft Mehmet Scholl. Der 24jährige glaubt sich im besten Fußballalter und großer Form, doch trotz guter Leistungen würden ihm nun Nationalmannschaft und Europameisterschaft flötengehen. Wer zu oft auf der Bank sitzt, kann kaum mit einem Stammplatz im Auswahlteam rechnen.

Zudem kritisiert Scholl – Vorsicht, Majestätsbeleidigung – scharf den neuen Coach Otto Rehhagel. Dieser rede nicht mit den Spielern, und auch mit der vielgerühmten Fußballweisheit sei es nicht weit her. „Wir spielen seit acht Wochen und haben immer noch keine Taktik“, bemängelt Scholl, „wir stehen nur so gut da, weil wir so gute Einzelspieler haben.“ In der Tat wirkt es so, als beschränke sich das System von Rehhagel darauf, wenn es nicht läuft, einfach drei Weltstars gegen drei andere Weltstars auszutauschen. Ein Vorgehen, das Verunsicherung schafft. Auch ein Gerd Müller hätte wohl erheblich weniger Tore geschossen, wenn er nach zwei torlosen Spielen jedesmal draußen gewesen wäre. Und seine berüchtigten Treffer in letzter Minute hätte es bei Otto ohnehin nie gegegeben. Wie unter diesen Umständen Leute wie Zickler oder Hamann ihr Talent entwickeln sollen, bleibt das Geheimnis der Bayern-Führung.

Diese zeigt sich vorerst stur. Außer im Falle Sutter käme keine Freigabe in Frage, sagt Vize Rummenigge, während Präsident Beckenbauer in völliger Verkennung der besonderen Situation des FC Bayern spöttelt: „Wenn alle Spieler, die nicht gleich eingesetzt werden, weggehen wollten, hätten wir in der Liga jede Woche 300 Wechsel.“ Rückendeckung erhält das Präsidium von Lothar Matthäus: „Der reinste Kindergarten.“ Aber Matthäus wird ja auch nicht ausgewechselt. Noch nicht. Matti Lieske

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