Press-Schlag: Vogts wendet sich ab
■ Der Verdacht: Ohne Matthias Sammer sind die DFB-Fußballer nicht mehr Weltklasse
Berti Vogts scheint bisweilen ein seltsamer Mann zu sein. Immer wenn sein Team in Hannover justament ein Tor geschossen hatte, drehte er orangenem Stühlchen und Spielfeld den Rücken und suchte dafür angestrengt irgend etwas auf der Tartanbahn (Tor 1) oder in seinem Nasenbereich (2+3).
Vorsicht, Symbolik! Der Trainer wendet sich von seinen Spielern ab? Mit Grausen? Hinterher hatte er sich weit besser im Griff als etwa nach dem mühsamen 1:1 gegen Portugal unlängst. Fakt sei, sagt er: „Es ist sehr, sehr schwer, die deutsche Mannschaft zu schlagen.“ Obwohl es auf dem Spielfeld anders aussah, gibt ihm die Geschichte recht. Zweimal hat das Team seit der WM 1994 verloren. In der WM-Qualifikation hat man die Gegner unspektakulär müde gearbeitet und mit Vogts' Einwechslungen und Taktikvarianten erledigt.
Dennoch entflohen dem Trainer Sätze, die von seinem erschütterten Vertrauen künden. „Verdammt noch mal“, will er gedacht haben, nachdem die Albaner zum 2:2 ausgeglichen hatten, „wenn die jetzt noch einmal aufs Tor schießen, gehen sie wieder in Führung.“ Damit hatte er auch noch recht.
Der Vorwurf, den die zum Vereinfachen neigende Boulevardpresse nun wieder bemüht: „Fußballmillionäre“ (Bild) haben ihr Geld gefälligst abzuhecheln. In dieser Sache versichert glaubhaft Stefan Kuntz, die Spieler seien „nicht abgezockte Profis, denen alles wurscht ist“. Andererseits sind die Vielspieler der Topteams nicht unglücklich, wenn sie ein weiteres Spiel ohne größeren Energieverlust hinter sich gebracht haben.
Hauptsache qualifiziert. Der Rest, hoffen die Nationalspieler, werde sich dann vor Ort schon ergeben. Für diese Annahme gibt es in der Geschichte Belege. Es gibt aber auch einen Gegenbeleg. Den hat Bundestrainer Vogts 1994 von den Bulgaren ausgestellt bekommen – und weder vergessen noch verwunden. Das Team war damals nicht in der Balance und litt unter einer Führungskrise („Matthäus“). Beim EM-Gewinn war Matthäus weg, die Balance da.
Nun versucht eine beispiellose Springer-Kampagne weiter engagiert, den für die Pressing- Kommandos zuständigen, diesmal verletzten Kapitän Klinsmann zur Witzfigur zu machen. Der offenbar beleidigte Adjutant Helmer leidet nach Art des Hauses grummelnd vor sich hin, in der Meinung, „soviel in die Fresse gekriegt“ zu haben.
Und: Es fehlt mit Matthias Sammer schlicht der wichtigste Spieler. Heute wird er erneut am Meniskus operiert. Die Boulevardpresse hat ihn schon verabschiedet, die Wochenblätter arbeiten am Nekrolog. Sammer, Helmer und Eilts hielten das konsequent Vogts' System spielende EM-Team in der Balance – und der Dortmunder Libero machte den Unterschied, in dem er zudem den Gegner aus dessen taktischer Balance brachte. Olaf Thon ist besser als viele – Sammer ist er nicht.
Vogts kann nur vage hoffen und ansonsten in den kommenden acht Testspielen versuchen, zu einem modifizierten, aber festen System ohne seinen besten Mann zu finden sowie das Team „zu einer Einheit“ zurückformen zu können.
Und dann ist ja da immer noch sein „Händchen“. Verläßt er sich im Notfall darauf? „Ich verlasse mich nicht darauf“, sagt Vogts trotzig, „aber die Mannschaft.“ Man sieht: Er faßt sich zwar, wie von Kohler gefordert, an die eigene Nase, zu bedeuten hat das aber nichts. Peter Unfried
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