Press-Schlag: Von Bayern lernen
■ Gladbach nach dem Trainersturz
Irgendwie wird am Samstag nachmittag gegen halb sechs allen ein Stein vom Herzen gefallen sein. Dem Trainer, weil er sich endlich zum längst überfälligen Schritt hat durchringen können. Den Spielern, weil der einfältige Hannes für sie den Kopf hingehalten hat. Dem Manager, weil es wieder mal jemand anderen erwischt hat. Und den Fans, weil der ungeliebte Coach ihren Forderungen doch noch nachgekommen ist.
Beim 0:2-Heimdebakel von Borussia Mönchengladbach gegen Wolfsburg waren die „Bongartz raus“-Rufe noch die freundlichsten Ausdrucksformen der Fans. Die Kuttenträger kehrten dem Spielfeld demonstrativ den Rücken, beklatschten die forschen Gäste, verhöhnten das eigene Katastrophen-Ensemble und wünschten, den geliebten Torwart ausgenommen, allen Balltretern in Borussia-Leibchen eine Karriere beim 1. FC Jagoda an den Hals: „Außer Uwe könnt Ihr alle geh'n.“
Vielleicht sollte sich der eine oder andere ihren Rat zu Herzen nehmen. Juskowiak trifft aus drei Metern kein neusprachliches Gymnasium. Pettersson ist Weltmeister im Danebenschießen. Klinkert läuft die 100 Meter in geschätzten 16,6 Sekunden. Pflipsen wartet mit 35 noch auf den Durchbruch. Chiquinho ist der talentfreieste Brasilianer der Bundesliga. Und Paßlack, Andersson, Effenberg? Schwamm drüber.
1995 noch war die Borussia Pokalsieger und eine Mannschaft mit Perspektive. Seither hat Rolf Rüssman falsch gemacht, was er falsch machen konnte. Herrlich vergrätzt, Dahlin verärgert, Fach verprellt, Max verkauft, Neuville vergessen, Bongartz verpflichtet. Ein Verein rennt sehenden Auges in den Untergang, weil die Mannschaft keine Seele hat, der Manager dafür eine Profilneurose.
Wie es weitergeht, weiß so recht niemand. Die einen sagen: absteigen, Neuaufbau, und 1999 mit Lautern-Feeling die Liga von hinten aufrollen. Wenn's Richtung Keller gehen soll, wären Krautzun, Saftig oder Roggensack die richtigen Herren für den vakanten Posten. Andere sagen: Hauptsache drinbleiben, irgendwie durchwursteln. Kandidaten für diese 08/15-Variante: Berger, Ristic, Neururer.
Die mit Durchblick meinen: Von den Bayern lernen. Eine Borussia mit Zukunft könne nur eine mit Vergangenheit sein. Was heißt: Wittkamp Präsident, Bonhof Aufsichtsrat, Netzer Manager, Schäfer Trainer, Criens Co-Trainer, Wimmer Konditionstrainer, Simonsen Dolmetscher, Kastenmaier Fanbeauftragter, Sieloff Busfahrer, Laumen Platzwart, Kleff Klassenclown.
Doch statt dessen wird am Samstag wohl wieder Rolf Rüssmann aus dem Fernseher gucken und Optimismus verbreiten. Mensch, kann Fußball grausam sein... Holger Jenrich
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