Press-Schlag: Thomas neue Realität
■ Hinter Dauersieger Funaki wird Skispringer Hannawald am Bergisel überraschend zweiter
Sven Hannawald machte ein V. V wie victory? Oder zwei Finger für Platz zwei? Der Hinterzartener jedenfalls machte ein fröhliches Gesicht, als er gestern am Fuß der Bergisel- Schanze zu Innsbruck gestikulierte. Platz zwei beim dritten Springen der Vierschanzentournee hinter Dauersieger Kazuyoshi Funaki – so gut war Hannawald (22) noch nie.
Dieter Thoma wurde siebter und wirkte wie immer in den letzten Tagen – leicht gefrustet. Es scheint, als habe Thoma (28) Probleme, sich mit der neuen Realität abzufinden. Die sieht so aus, daß der Deutsche nach zwei sehr erfolgreichen Jahren nun Konkurrenz gegen sich hat, die im Moment besser ist. Wie der Sieger Kazuyoshi Funaki bei 108,5 m und 113 m seinen Telemark setzte, das war eben deutlich besser als Thomas mühsame Landung jeweils einen Meter kürzer.
Er macht auf der beständigen Suche nach dem „optimalen Sprung“ (Rudi Tusch, Technischer Leiter des DSV) zu viele Fehler. Versucht einerseits weiter als alle anderen zu springen, um seine niedrigen Haltungsnoten zu kompensieren. Denkt andererseits ständig daran, die Landung möglichst optimal zu setzen, um den Rückstand zu verringern.
In Garmisch hatte er die alten Skier probiert, „ein taktischer Fehler“, wie Bundestrainer Heß murrte, die waren in der Spur zu langsam. Im Suchen nach dem Fehler im System läßt sich der Athlet auch vom Vorgesetzten nicht aufhalten – und der muß es hinnehmen.
In Innsbruck kehrte er wieder zu den gewohnten Brettern zurück – und sprang gut, aber nicht in Siegnähe. Das V etwa haben nicht nur die Japaner derzeit sauberer drauf, sondern auch der junge Kollege Hannawald. So dämmert langsam die Erkenntnis, daß Aktionismus vor Olympia nicht weiterhelfen wird. Thoma muß sehen, was kommt – und wie der Lauf der Japaner anhält. Die eigene Machtlosigkeit allerdings beunruhigt. Und so ist es trotz allen Abwiegelns auch nicht mehr allzuweit her mit jener neuen Lockerheit, die der Springer für sich im Olympiajahr in Anspruch genommen hatte. Früher, sagt seine Frau Manuela Thoma, sei es so gewesen: „Wenn man ihm einen Kieselstein in den Mund steckt, kommt hinten Sand raus.“ Und heute? Macht er ein trauriges Gesicht – und schluckt ihn runter.
Es ist auch schwierig. Nicht nur international hat Thoma seine Spitzenstellung eingebüßt – national ist da der Realschüler Michael Wagner (16). Dessen Erfolg „nervt den Dieter gewaltig“, wie Bundestrainer Reinhard Heß mitkriegte. Wagner, 53 Kilogramm schwer, 1,78 m groß, hat „im Moment günstige Hebel“ (Vater Willi Wagner), da er in punkto Höhe binnen eines halben Jahres mächtig zugelegt hat, der dazugehörige Breitenschub aber noch aussteht. Am Bergisel allerdings mußte Wagner bereits nach 88,5 m notlanden und fiel in der Gesamtwertung weit zurück. „Ich hab's normal drauf“, sagte der junge Mann, „aber heut' hat nichts geklappt.“ Dafür durfte diesmal Hannawald zwischen Funaki und dem Finnen Ahonen gar aufs Treppchen. „Der Kopf ist im Moment total frei“, sagte Hannawald, „mich wirft nichts aus der Bahn.“
Das genau ist der Unterschied zu Thoma. Ein Vorbild bleibt der Gesamtneunte aber nicht nur für den Zimmerkollegen. Gefragt, was sein größter Wunsch sei, sagt der Gesamt- Führende Funaki ehrlich: „Mit meinem Sport genausoviel Geld verdienen wie Thoma oder Goldberger.“ Trotz des nicht unerheblichen Prämienzuwachses nach drei Siegen in den letzten Tagen: Soweit ist es noch längst nicht. pu
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