Press-Schlag: Wir hier, ihr dort!
■ Kein Mitleid mit den protestierenden Fans in Freiburg
Im beschaulichen Freiburg soll das Stadion umgebaut werden. So was kommt vor. Hier in Dortmund zum Beispiel wird seit drei Jahren nur noch selten gut gespielt, dafür aber immer kräftig gebaggert. Und doch ist die Aufregung im Schwarzwald so groß, daß das eben erst beerdigte Fanzine Fanman sich aus seiner Grube hochschaufelte, um während des Freitagsspiels eine Protestaktion gegen die Pläne des Vereins abzuhalten. (Übrigens die Begegnung mit eben jenem Bau-Verein Borussia aus Dortmund, die schließlich 2:2 endete.)
Der Grund der Aufregung sind die Stehplätze auf der Gegengeraden des Dreisamstadions. Sie sollen Sitzschalen weichen, was zwar ergonomisch unverantwortlich, ökonomisch aber sinnvoll ist. So weit scheint der Zorn des Fanman einleuchtend, denn wer wollte bestreiten, daß wahre Fußballfans sich nur dann hinsetzen, wenn sie ein Spiel übers Fernsehen verfolgen? Ich selbst wohne seit knapp 20 Jahren den Spielen meiner Mannschaft im Westfalenstadion auf den Stehrängen bei – selbst dann, wenn ich als Berichterstatter anwesend bin. Und kein Exklusiv- Interview brächte mich jemals auf die Pressetribüne.
Trotzdem hält sich mein Mitleid mit den Fans des SC Freiburg in Grenzen. Erstens ist da natürlich der Anflug von Schadenfreude darüber, daß wir neureichen Karrieristen aus Dortmund es sind, die gerade die größte Stehplatztribüne Europas errichtet haben, während jene volksnahen Revoluzzer aus dem südlichen Baden ein Stück Tradition an die Buchhaltung verkaufen. Zweitens scheint mir, daß den Schwarzwäldern gewisse Grundregeln des Daseins auf Stehplätzen unklar sind. Besagte Plätze auf der Geraden sollen nämlich nicht etwa ersatzlos gestrichen, sondern größtenteils auf eine neue Tribüne hinter dem Tor im Norden ausgelagert werden. So richtet sich der Protest der Fans also nicht etwa gegen den Verlust, sondern gegen die Auslagerung der Stehplätze in die Nordkurve.
Aber echte Steher brauchen gerade diese Isolation, schließlich muß man sich vom Feind auch räumlich absetzen. In Dortmund ist der Gegner der wahren Fans oft genug die eigene Sitzplatz-Klientel, und wie könnte man die beschimpfen, wenn sie Teil derselben Tribüne wäre? Klare Verhältnisse sind also wünschenswert. Wir hier, ihr dort!
Und überhaupt: Was haben Stehplätze auf Geraden verloren? Schließlich wird üblicherweise nicht auf die Mittelline gespielt, sondern auf die Tore. Dort braucht die Mannschaft den Sog des Publikums, der sie in kritischen Situationen geradezu zwingt, doch noch den entscheidenden Treffer zu landen – wenn es sein muß, in letzter Sekunde. Schickt die Sitzer also ruhig in die neutrale Zone. Da haben sie dann ja auch ihre gewohnte „ran“-Perspektive. Und die Spieler müssen ihnen nur einmal in die Augen sehen. Beim Einlaufen. Ulrich Hesse-Lichtenberger
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