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Press-Schlag„Volles Theater“

■ Selten stürmte jemand so unterhaltsam wie Manchester ins Europacup-Finale

Ein paar Autogrammjäger kommen im Swallow Hotel in Liverpool auf Gary Lineker zu. Und dann gehen sie achtlos an ihm vorbei, zu dem Jungen neben ihm: Michael Owen, 19 Jahre alt und seit seinen beiden Toren bei der Weltmeisterschaft 1998 Englands liebstes Wunderkind. Lineker, der zwölf Jahre zuvor sechs und somit die meisten Tore bei der WM in Mexiko erzielte, wartet geduldig, bis er an der Reihe ist; nicht mit dem Autogrammeschreiben, sondern sich welche geben zu lassen. „Wenn ich ohne sie nach Hause komme“, sagt Lineker, „ist mein Leben nichts mehr wert.“ Als er seinen vier Kindern erzählte, er würde an diesem Nachmittag zusammen mit Owen in Liverpool einen Werbeauftritt geben, orderten sie die Unterschriften ihres Idols. „Selbst in meinem eigenen Haushalt ist Michael Owen populärer als ich“, sagt Lineker.

Aber Lineker, der heute als Fernsehmoderator für die BBC arbeitet, ist ja selber Fan. Spieler wie Liverpools Owen oder Manchester Uniteds Paul Scholes und David Beckham (beide 24), „wunderbar talentiert und gut ausgebildet“, sorgten dafür, daß „die Engländer wieder da sind“. Ausgerechnet der englische Fußball bietet ausgangs des 20. Jahrhunderts die Blaupause für die Zukunft des Spiels. Vor zehn Jahren verlacht für ihre antiquierte Spielweise, das wenig erbauliche Kick and Rush, verbinden britische Mannschaften heute auf vorbildliche Weise Spektakuläres mit Erfolg. Selten stürmte eine Elf so unterhaltsam ins Finale der Champions League wie Manchester United, das heute abend in Barcelona gegen Bayern München um den Europacup spielt.

Dabei baut der neue Stil auf dieselben Grundlagen. Kraft, Tempo und Leidenschaft sind im englischen Fußball noch immer im Überfluß vorhanden; allein, Ende der 80er bestand er aus nichts anderem. „Damals war unser Spiel verseucht von dem Gebolze langer Pässe“, sagt Lineker. Von 1985 bis 1990 wegen Ausschreitungen englischer Hooligans von den Europapokalwettbewerben verbannt, verpaßte man die taktische und technische Entwicklung. Erst eine neue Generation besser ausgebildeter Jugendlicher sowie die Massenankunft ausländischer Spitzenkräfte hob jetzt die Qualität. Entstanden ist so jener einmalige Stil, den United in dieser Champions-League-Kampagne berühmt machte. Angriffsfußball und direktes Kurzpaßspiel in Hochgeschwindigkeit, die alte Wucht kombiniert mit neuer Eleganz. Die Zuschauer wissen, sie sehen 90 Minuten Action; „volles Theater“, wie Karlheinz Riedle, der deutsche Stürmer des FC Liverpool, sagt: „Hier geht es immer rauf und runter, immer auf Angriff, egal, wer spielt, kein Ballhalten, kein Taktieren. Einlullende Spiele wie so oft in Deutschland gibt es hier einfach nie.“ Fast nie, werden die sagen, die schon einmal Wimbledon gegen Tottenham gesehen haben.

Ob sie in Italien oder Deutschland deshalb demnächst englisch spielen werden? Noch sehen die meisten Trainer vor allem die negativen Seiten des Inselstils, die Fehler, vor allem in der Abwehr, oder die Anfälligkeit für Konter. United müßte wohl erst die Champions League über Jahre dominieren, damit der Stil in Mode käme.

Doch solche Dominanz eines Vereins „wird es wohl nicht mehr geben, dafür sind Reichtum und Macht unter den Klubs zu vielfältig verteilt“, sagt Gary Lineker. Er hat dann übrigens vor lauter Neid versucht, Michael Owen umzubringen. Na ja, nicht wirklich, nur in dem Werbefilm, den eine Kartoffelchipsfirma mit ihnen drehte. Ronald Reng

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