■ Press-Schlag: Wer tippt schon den HSV? Die Bundesliga lebt die Vorvergangenheit
Auf die Zukunft zu wetten ist ein unsicheres Geschäft. Vor allem, wenn es von Kerlchen abhängig ist, die bevorzugt in der Vorvergangenheit leben. „Ich hatte den Ball gespielt gehabt“, plusquamperfektet Thomas Häßler nach jedem Match, als erzählte er es seinen Enkeln. Und so einem sagen Sie mal die Zukunft voraus. Das ist nämlich ein bisschen wie Wahrsagen: die Kunst, Bundesligaergebnisse exactement zu prophezeien.
Natürlich haben bei uns Tipettisten (mit nur einem p, so wie damals) nur die Bestinformierten Chancen: Wer ist verletzt, wer außer Form, wer schmollt? Welche Spielerfrau fummelt mit dem Torwart herum? Und wie ist das Wetter? All das lässt der ernsthafte Tipper in sein neunfach zähes Ringen einfließen, Woche für Woche. Ich kann das so gelassen schreiben, weil es mir diesmal grandios geglückt ist. Nur zum Verständnis: In Hamburg gibt es eine Wettgemeinschaft von Sportjournalisten, zwei Dutzend Mann und ein paar Frauen hoch, „Tipetto“ genannt. Selbstverständlich ist das Wertungssystem ausgeklügelt; zehn Mark zahlt jeder pro Spieltag, es gibt Tages- und Gesamtsieger, nur absteigen muss keiner.
Trotzdem: Der Druck ist groß. Das Fachwissen, das sich in den Köpfen der erfahreneren Kombattanten türmt, ist ja unvorstellbar. Alle sind Fußball-Souveräne, unfehlbar im Urteil. Wenn da nur nicht die Spiele wären. Womit wir wieder bei 1860 sind. Völlig untippbar, diese Mannschaft – mal Torfabrik, mal Schießbude. Oder die Bayern: Es knirschen die Zähne, wenn man ihnen vertraut, und dann gewinnen sie nicht. Man könnte wahnsinnig werden.
Zum Glück gibt es Teams wie Rostock. Wer Hansa heuer gesehen hat, hat das 3:0 des BVB präzise orakelt. Die Eintracht wiederum hat Berger als Trainer und Stuttgart ein System. 0:1, banaler Tipp, das. Mein 2:1 für Frankfurt verstehe, wer will, ich tu's nicht. Schließlich der Klassiker: Ulm gegen Hamburg, unser Topspiel, das doppelt zählte. Für den HSV halten gehört sich als Tipettist nicht; ich hab's aber gemacht, 1:2, klar. Es lief ab wie im Drehbuch, wenn auch die Kavallerie sich verspätete. Uff, das macht stolz.
Wären da nicht die Aushilfstipper: Kalle (12), von seiner Qualifikation her Sohn des Tipetto-Initiators H., sticht den Routinier aus, der schon bei der WM 1954 dabei gewesen sein soll. Eine naive Kollegin dilettiert für Urlauber K. den Tagessieg herbei. Ein Weltumsegler tippte monatelang alle Spiele 1:1 und hielt sich prächtig, ein anderer nur Tennissätze und traf damit ins Gladbacher Elend. So etwas verstimmt. Das wirkt ganz so, als könne das jeder.
Aber natürlich kann das nicht jeder. Also wird Montag früh Kollege E. an der Strippe sein, Redakteur einer Monatszeitschrift, die sich eher aus intellektueller Warte dem Fußball widmet. „Weißte schon?“, wird er fragen, „Du bist im Geld.“ Im Geld sein, 100 Mark kassieren, vor allem: Recht gehabt haben. Ich halte es nicht mehr aus, rufe E. an, gleich jetzt. Er schmettert mich nieder. 14 Leutchen hatten das 2:1 des HSV auf dem Zettel. Dabei tippen Hamburger nicht auf diesen Klub. Nie. Es sei denn, das Wetter und die Spielerfrauen ... Sie wissen schon. Rüdiger Barth
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen