Press-Schlag Zwanzigers Forderung, Fans sollten die WM in Katar boykottieren, spart viele Verantwortliche aus: Reisende, meidet Katar!
Theo Zwanziger fordert dazu auf, die Fußball-WM 2022 zu boykottieren. Sehr gut, prima, toll. Wörtlich hat der frühere DFB-Präsident und – die Ergänzung muss sein, weil sie zur Sache gehört – erst jüngst aus der Fifa-Exekutive ausgeschiedene Funktionär gesagt: „Ich würde als Fan nicht zur WM nach Katar fahren.“
Ach so. Er meint nur die Fans. Zwanziger gibt also die Verantwortung an die Fußballanhänger weiter, die vielleicht in sieben Jahren in das Golfemirat reisen werden. Entsprechend hilf- und wirkungslos ist Zwanzigers Appell. Die Fans, die er scheinbar anspricht, kommen nämlich aus vielen Ländern dieser Erde. Sie entstammen meist gar nicht halbwegs homogenen Szenen, die für Stehplätze und bezahlbare Tickets streiten. Nach Katar und zu anderen WMs reisen vielmehr Touristen, die zwischen Spabereich im Hotel und abendlichem Sternemenü noch ein WM-Spiel gucken wollen. Zudem käme Zwanzigers WM-Boykott zu spät: Dann stünden ja all die Stadien, Hotels und Shoppingmalls schon, die derzeit von den etwa 1,8 Millionen Wanderarbeitern in Katar errichtet werden.
Die frisch erschienene Studie des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), auf die sich Zwanziger beruft, lohnt die genaue Lektüre. In diesem Bericht sind nicht nur die Bedingungen auf den Baustellen beschrieben – etwa dass jedes Jahr 1.000 Arbeiter sterben, mithin bis zum Eröffnungsspiel mit 7.000 WM-Toten zu rechnen ist.
Nein, dort sind auch sehr konkret diejenigen benannt, die jetzt schon handeln könnten, den Skandal zu beheben, wenn sie denn ein Interesse daran hätten: „Alle Vorstandsvorsitzenden, die in Katar Geschäfte machen, sind sich bewusst, dass ihre Gewinne durch niedrige Löhne in die Höhe getrieben werden, Löhne, die oft auf einem diskriminierenden rassistischen Lohnsystem basieren, und dass für diese Gewinne die Sicherheit aufs Spiel gesetzt wird, was unhaltbare arbeitsbedingte Verletzungen, Krankheiten und Todesfälle zur Folge hat.“
Der IGB listet alle auf: die Bauunternehmen, die ihre Arbeiter sklavisch an sich binden und mies entlohnen; für nur 3,9 Prozent von denen wurden, wie es ganz offiziell aus der Regierung von Katar heißt, menschenwürdige Unterkünfte bereitgestellt. Auch die Hotel- und Handelsketten, die nicht im Traum an halbwegs würdige Arbeitsbedingungen und -löhne denken, sind in der Verantwortung. Und auch die westlichen Universitäten werden vom IGB erwähnt, die von akademischer Freiheit sprechen und die wie selbstverständlich „nichts gegen Sklaverei auf ihrem Campus in Katar unternehmen“.
Jede Menge unmittelbare Profiteure sind das, die an dem Megaspektakel, das da 2022 in Katar stattfinden soll, verdienen. „Lokale und ausländische Unternehmen werden mit dem Aufbau der Infrastruktur Katars Gewinne in Höhe von 15 Milliarden Dollar machen“, fasst der IGB zusammen, „basierend auf einer durchschnittlichen Gewinnspanne von 7,5 Prozent.“
Gewiss, auch Fußballfans tragenVerantwortung für das, was sie tun: politisch, gesellschaftlich, moralisch. Und es ist gut, wenn Zwanziger auf die Verhältnisse in Katar hinweist. Doch derart sollte man nicht an den Verantwortlichen vorbeiargumentieren. Martin Krauss
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