piwik no script img

Prenzlauer BergBürgersteigaufstand in der Castingallee

Bezirksstadtrat Kirchner (Grüne) will die Trottoirs auf der Ausgehmeile Kastanienallee verkleinern. Eine ungewöhnliche Allianz von Exbesetzern, Barbetreibern und "FAZ"-Redakteuren ruft für Samstag zum Protest

Noch ist schön viel Platz fürs Klapperrad: Bürgersteig an der Kastanienallee Bild: pellestencc-by

Drei Ausrufezeichen stehen hinter jeder Parole. Insgesamt sechsmal drei Ausrufezeichen finden sich auf dem Plakat, das in jedem zweiten Laden im Schaufenster hängt. "Nein zur Zerstörung der Kastanienallee!!!", heißt es dort. "Nein zu Parkplätzen auf dem Bürgersteig!!!" Und vor allem: "Nein zur Bevormundung!!!" Die Forderung hat eine gewisse Dringlichkeit. Ginge es nach dem Bezirksamt Pankow, dann würde die Kastanienallee in Prenzlauer Berg seit Ende November umgebaut. Der Schnee hat die Arbeiten auf Eis gelegt und wütenden Anwohnern eine Chance gegeben. Für Samstag rufen sie zum Aktionstag. Außerdem werden Unterschriften für einen Bürgerentscheid gesammelt.

Das Schlagwort "Kastanienallee 21" macht die Runde. Es geht nicht um eine Adresse an der Kneipenmeile. Es geht um Bürgerprotest. Wie in Stuttgart. Nur dass hier kein Bahnhof die Bürgerwut weckt, sondern das Konzept des grünen Stadtrats Jens-Holger Kirchner für eine grüne Verkehrspolitik in einer grünen Wählerhochburg.

Kirchner hat sich gerade erst mit den "Ekellisten" als Kämpfer für Restauranthygiene stadtweit einen Namen gemacht. Mit dem Plan für eine Fahrradspur auf der Kastanienallee droht er seinen Ruf zu verspielen. Sie soll die Sicherheit erhöhen. Die Tram käme schneller voran. Dafür aber müssten die Autos zwischen den Bäumen parken. Die breiten Bürgersteige würden schmaler. Und die machen den Charme der Flaniermeile aus, sagen Anwohner, Gastwirte und Besucher.

Der Umbaustreit

Der Streitpunkt: Neben der Fahrbahn für Tram und Auto soll ein Radstreifen entstehen. Das ändert die Optik der Straße. Vor allem aber würden die Bürgersteige schmaler, weil Autos dort zwischen den Bäumen parken sollen.

Das Bürgerbegehren: Bürgerinitiative Wasserturm sammelt Unterschriften für einen Bürgerentscheid gegen den Umbau. 8.000 Pankower Wahlberechtigte müssten unterzeichnen.

Der Aktionstag: Am Samstag, 18.12.10, von 15 bis 18 Uhr demonstrieren Anwohner auf der Kreuzung Kastanienallee, Oderberger Straße. Dort solle es neben Infos und Glühwein auch einen Auftritt von DJ Dr. Motte geben. Weitere Infos hier oder hier. http://stoppt-kastanienallee21.posterous.com/

Seit zwei Jahren wird über die Umgestaltung gestritten. Im Jahr 2009 gab es eine fünfstündige Anwohnerversammlung. Mitte November stellte Kirchner die endgültigen Pläne vor - nahezu unverändert (taz berichtete). Dann traf er sich mit Kritikern vor Ort, um mit Maßbändern die Veränderung zu visualisieren. Und zum Schlichtungsgespräch in der Geschäftsstelle der Grünen an der Pappelallee. Es brachte keine Einigung, kein Verständnis, nur den alten Streit. Kirchner sah von Stunde zu Stunde genervter aus. Stefanie Remlinger, grüne Fraktionschefin im Bezirksparlament, beschwerte sich über Hassmails, die sie mittlerweile bekomme.

Tiefbauamtplaner Jörg Beuge platzte mehrfach der Kragen angesichts der seiner Meinung nach dilettantischen Ausführungen der Gegner. Die sehen das anders. Für Sebastian Mücke, dem drei Geschäfte an der Straße gehören, ist die Sache klar: "Wir wollen nicht, dass die Allee so aussieht wie Straßen in Oldenburg oder Hildesheim. Wir wollen keine modernisierte Straße!" Für Frank Möller vom Verein Carambolage war die Diskussion so wichtig, dass er sich via Skype zuschaltete. "Die Kastanienallee soll zerstört und zum Transitraum werden", befürchtet Möller. "Dadurch würde ihr einzigartiges Flair vernichtet." Heiner Funken vom Bürgerverein Gleimviertel, der das Treffen als Mediator leitete, musste ein ums andere Mal zu mehr Sachlichkeit ermahnen.

Die Kastanienallee polarisiert. Ob man sie liebt oder hasst: Sie ist ein Aushängeschild, ein Symbol für das Nachwendeberlin. Sie ist Flaniermeile, Touristenmagnet und mit ihren Bars und Cafés ein sozialer Treffpunkt für Künstler, Anwohner und Besucher von Prenzlauer Berg. Der Kabarettist Reinald Grebe besingt sie zynisch als: "Castingallee, Castingallee. Wir alle, wir alle, sitzen auf der Castingallee." Aber was wäre eine Castingallee ohne Catwalk? Ohne einladend breites Trottoir für die Selbstpräsentation der Flaneure?

Nach der Wende wurden die Häuser größtenteils saniert und modernisiert. Der Kiez wurde Vergnügungsviertel. Durch die Gentrifizierung stiegen die Mieten. Viele der früheren Anwohner zogen fort. Doch auch die neue Mischung ist nicht ohne. Zwei Jahre lang diskutierte der Stadtrat im Wesentlichen mit einer Handvoll engagierter Vertreter kleiner Bürgerinitiativen. Jetzt, wo die Baufahrzeuge quasi schon in der Straße stehen, hat sich im "Szeneviertel" eine überraschende Allianz zwischen alteingesessenen Ossis und zugezogenen Wessis, zwischen Gewerbetreibenden und Anwohnern sowie zwischen Schickimickiläden und Gemüseverkäufern zusammengetan - gegen den Umbau ihrer "guten alten Kastanie". Der Bäcker und der Buchladen sind dabei. Der Designerschnickschnackladen Luxus International und die von einem "Ossi" geleitete, 1993 gegründete Bar Schwarzsauer. Die Bewohner eines einst besetzten Hauses hängten ein riesiges Transparent an ihre Fassade. "Grüne killen Bürgersteige" steht darauf.

Der potenteste Gegner für den grünen Stadtrat sitzt am anderen Ende der Allee, in der Yuppiebar "103". "Ich möchte nicht, dass es hier am Ende wie in einem Vorort von Freiburg aussieht", sagt Till Härter, Besitzer des "103", in dem sich FAZ- und Zeit-Autoren treffen. Die Barbetreiber gründeten eine Protestgruppe auf der Internetplattform Facebook, auf der sich innerhalb weniger Tage hunderte Mitstreiter registrierten.

Der Zionskirchplatzfan und Popliterat Maxim Biller ist dabei. Auch Claudius Seidl, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die am Wochenende groß über die Protestwelle in der Kastanienallee berichtete. Und der Straßenanwohner Matthias Roeingh, besser bekannt als Loveparade-Erfinder Dr. Motte. "Ich rufe auf zum geschlossenen Widerstand gegen diese Umbaumaßnahmen", schreibt der DJ im Internet. "Wir, die Anwohner, wollen kein Stuttgart 21 in der Kastanienallee! Kastanienallee 21 - Nein Danke!"

Stadtrat Kirchner gibt sich gelassen. Auf die Frage, ob er Stuttgart 21 in Prenzlauer Berg befürchtet, sagt er: "Nein, überhaupt nicht. Die Grünen befürworten die Partizipation der Bürger." Bürgerbeteiligung, das hat Kirchner mehrfach klargestellt, heiße noch lange nicht, dass die Bürger auch bestimmen. Das macht die Anwohner so wütend, dass sie hinter jeden Satz drei Ausrufezeichen setzen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • RP
    robson paul

    das erschreckende ist: es sind die "edlen ökos" mit taschen voller geld aus dem besser westen, die dieses "ostalgische Flair" den ossis bewahren helfen möchten. sie sollten sich lieber dafür einsetzn, dass so etwas wie "marta´s garden" und ähnliche Verdrängungsobjekte nicht den charme dieses viertel zerstören. aber dummerweise wohnen diese geldsäcke in diesen scheiß palästen. liebe geldsäcke, verpisst euch unserem viertel, ihr seid die wahren zerstörer!!!!!!!!!!!!

  • AM
    arur mukha

    mein gott, ich fasse es nicht. die taz wird immer schlimmer. im winterloch scheint alles möglich zu sein.

  • N
    nikki5

    die bürgersteige dienen doch schon seit jahren nurnoch den gatstätten als günstige schankraum erweiterung.

    ich sch... auf berlin.

  • E
    exberliner

    Die Kastanienallee ist vermüllt. Es liegt bei der Berliner Jugend im Trend, ihren Müll gleichmäßig in den öffentlichen Räumen zu verteilen. Der Mauerpark ist auch ein schönes Beispiel. Und man sollte auch auf der Kastanienallee auf die Hundescheiße achten. Seitdem der "Schlot" von Provinzheinis rausgeklagt wurde, ist die Kastanienallee nur noch ein billiger Abklatsch der (heutigen) Oranienburger Straße. Zu roterbaron: siehe Die Großstadt. Schön geschrieben.

  • W
    warum

    warum nehmen die nicht einfach parkplätze weg? eine seite parkplatzfrei und die sache geht sich wunderbar aus. die braucht em wenigsten irgendwer wo der platz kanpp wird.

  • MM
    Markus Meier

    Wenn man sich die Pläne anschaut, wird m.E. relativ schnell klar, dass es für Panikmache keinen Grund gibt (ob jedes Detail sinnvoll ist, sei dahingestellt - siehe Fahrradweg). Aber warum sollte es den Grünen anders gehen, wenn sie mal dafür, und nicht dagegen sind.

     

    Die Umbaugegner wollen einen grad mal hippen Status Quo erhalten, weils halt einfacher ist - und werden kräftig unterstützt durch Desinformation wie die immer wieder gezeigte taz-Grafik, bei der die Häuser nach dem Umbau durch Geisterhand an die Bäume rangerückt sind.

     

    Irgenwie findest sich grad immer ne lautstarke Gruppe, die erstmal dagegen ist, ohne zu wissen, wofür sie eigentlich sind...

  • DG
    Die Großstadt

    @roterbaron

     

    Finde es immer traurig und armselig, wenn erwachsende Männer und Menschen ohne Kinder mutlos und dörflich auf dem Bürgersteig Fahrrad fahren und so Kindern und Familien zu nahe kommen. Es soll schon vorgekommen sein, dass zu waghalsige und rücksichtslose Fahrradfahrer auf schmalen Bürgersteigen am fixierten Ellenbogen eines Passanten gestürzt sind.

  • MM
    mara mueller

    haben, denn die leute nichts besseres zu tun? wer die kastanienallee kennt, weiss das es sehr eng ist fuer autos, radfahrer und tram. warum denn keinen radweg zusaetzlich bauen? alle (bioprenzlauerberger) wollen dennoch mit autos ueberall zur trendy location fahren, aber parkmoeglichkeiten und platz dafuer gibts in diesem viertel nicht. ich finde es als gebürtiger berliner viel schlimmer, dass instanzen wie der knaack club geschlossen werden muessen, weil sich zugezogene vom land wegen ruhestörung belästigt werden oder bars um zehn die tische reinstellen muessen. wenn die ohren so empfindsam sind, dann zieht man ins ruhige umland brandenburg. diese moechtegerngroßstaedter sollten ihr provinzielles denken auch dort(in der provinz) lassen und mal ein bischen ihren horizont erweitern. lol

  • S
    srp

    @ von rat an die grünen:

    sehe ich genauso. die anderen (radfahrer) sollen leiden, solange wir (anwohner) bequem unseren arsch in unser auto setzen können, dass vor der haustür steht.

     

    ein weiterer punkt ist, dass, wenn die bürgersteige verkleinert werden, der mögliche profit der cafes und kneipen geschälert wird, da diese nicht mehr so viele tische und stühle auf den bürgerstei stellen können. dann gibt es dort ne sitúation, wie in der falkensteinstraße in kreuzberg. überall rumsitzende menschen und kein platz mehr für leute auf den bürgersteigen, geschweige denn für mütter mit kinderwagn o.ä.

  • RA
    rat an die grünen

    schaut doch einfach mal, was der plan eines absoluten halteverbots im straßenbereich bringt.

    beidseitig.

    stattdessen gibts dort, wo jetzt noch autos parken, breite radspuren.

     

    das ist billiger (weil keine bagger gebraucht werden, um den randstreifen zu verändern) und zeigt auch gleich, ob die anwohner für radwege oder für parkplätze sind...

     

    ich gehe sowieso davon aus, das intern einer der widerstandsauslösenden punkte die verringerung der parkflächen ist - weil ja, da wo bäume stehe, nicht geparkt werden kann...

     

    #2cents#

  • TK
    Till Krowaschek

    Der Satz: Bürgerbeteiligung heißt noch lange nicht das die Bürger auch bestimmen.

    Dieser Satz trifft exakt den grünen Bürgerbeteiligungsgedanken. Die Bürger dürfen reden, dafür organisiert die Grüne Partei auch in Friedrichshain runde Tische. Es werden Termine über Termine angesetzt. Die Bürger erarbeiten Vorschläge, am Ende kommt immer das bei raus, was die grünen Bezirksamtsmitglieder gleich zu Beginn wollten. Sie beherschen das Spiel: Lasst uns reden am Ende machen wir uns den Bezirk zur Beute, aber seid dankbar dass wir uns Zeit genommen haben mit euch darüber zu reden. Diese überall vorgetragene Arroganz und Überheblichkeit der Grünen ( In Friedrichshain Herr Franz Schulz und Frau Monika Herrmann) und dieses Pharisäertum kann einen Mutlos an den Grünen selber werden lassen. Ich dachte schon wir sind die einzigen Grünensympatisanten die das erleiden müssen.

  • Z
    zyx

    Die breiten Gehwege in Berlin sind toll, hier in Stuttgart ist man ja schon froh, wenn einem als Fußgänger überhaupt ein Platz zugestanden wird. Und das will man jetzt kaputtmachen? Bei mir löst das nur Kopfschütteln aus.

     

    Ich hoffe der Protest findet viele Anhänger.

  • R
    roterbaron

    Ich sehe da eigentlich gar kein Problem..... es geht doch vorallem auch(aber nicht nur) um den Radweg.

     

    Dann werden die ganzen Radfahrer halt auf den Gehwegen fahren so wie ich das immer mache.

     

    Wenn mir einer dumm kommt wird das höflich überhört. Denn wer den Lieferverkehr die Straße/Radwege zu Parken lässt, der lässt Radfahrern halt keine andere Wahl als auf den Gehweg auszuweichen. Es sei denn Mensch will überfahren werden. (gerade im Winter, aber auch im Sommer)

     

    Oder mann baut halt auf dem Gehweg einen Radweg.

    Dann haben alle immer noch ihre Meile zu flanieren und Radfahrern kann keiner mehr blöd kommen.

     

    Im Grunde sollten sich die Grünen dort eigentlich nicht die Hände schmutzig machen, das wäre nicht klug.