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Premiere in der Deutschen Oper BerlinDie Nullnummer

Die Deutsche Oper Berlin wollte die Oper „Faust“ von Charles Gounod neu inszenieren. Das Resultat ist etwa so bewegend wie eine Dauerwerbesendung.

Krassimira Stoyanowa als Marguerite in „Faust“ von Charles Gounod Foto: Matthias Baus / Deutsche Oper

Mitten auf der Bühne steht der Sockel einer Säule, Albert Speer könnte sie für Germania entworfen haben. Natürlich passt sie nicht in das schöne Haus von Fritz Bornemann an der Bismarckstraße. Sie ist so monströs groß, dass nur der unterste Teil mit einer rundum laufenden Treppenstufe zu sehen ist.

Das Orchester beginnt. Es spielt so schlecht, dass der Dirigent eigentlich nach den ersten paar Takten abbrechen müsste für eine ziemlich energische Ansprache: „Meine Damen und Herren, wir spielen Gounod, denken Sie bitte daran...“ Aber Marco Armiliato dirigiert weiter und lässt die Damen und Herren geigen und tuten wie sie wollen. Sie verpassen seine Einsätze sowieso fast immer.

Aus dem Säulenschatten rollt ein Gerät zur künstlichen Lebenserhaltung komatöser Intensivpatienten herein. An Schläuchen und Kabeln hängend singt Teodor Ilincai mit seiner edlen Tenorstimme davon, dass der Tod ihn „meide“. Dass ihn die Ärzte nur mit knapper Not davor bewahrt haben, weiß er offenbar nicht und ruft nach dem Teufel. Ildebrando D‘Arcangelo kommt hinter der Säule hervor. Er ist ein wunderbarer Bariton, das Problem ist nur die Drehbühne. Es gibt hier sowieso keinen Platz zum Theaterspiel und der schmale Streifen vor der Monstersäule dreht sich auch noch ständig im Kreis.

Das rotierende Fitnessrad

Aufführung

nächste Aufführung am 24.6.2015 um 19.30 Uhr

Manchmal springen Männer und Frauen mit Kleinkindermasken auf die rotierende Fitnessmaschine auf, manchmal mit Fahrrädern oder in Soldatenuniformen. Weihnachtsbäume und ein verrosteter Wohnwagen rollen vorbei. Es fängt an zu schneien, ein Teil der Berliner Mauer stellt sich quer und am Ende spritzen amerikanische Gefängniswärter Krassimira Stoyanowa auf der Hinrichtungsliege tot.

Krassimira Stoyanowa ist eine sehr gute Sopranistin, die zu Recht ebenso viel Beifall erhält wie D‘Arcangelo und Ilincai. Dem Programm der Deutschen Oper ist zu entnehmen, dass es sich bei alldem um eine Aufführung der Oper „Faust“ von Charles Gounod handelt. Aber das ist nicht wahr. Denn eine solche Aufführung setzt voraus, dass sich ein Regisseur oder eine Regisseurin mit einem Team zusammensetzt, um Ideen für eine Inszenierung zu entwickeln.

Charles Gounod war ein tief gläubiger, konservativer Katholik, hoch gebildet und ein begnadeter Erfinder von Melodien. Sein Faust ist eine fast drei Stunden lange Predigt gegen die Sünden der Fleischeslust, in der Goethes Vorlage in der schauerlichsten Version der christlichen Doppelmoral untergeht, die sich denken lässt. Männer dürfen alles, Frauen nichts.

Der trügerische Wohlklang

Nicht, dass es heute so viel anders zugeht in der Welt. Aber wer dieses Stück seiner wunderschönen Musik und seiner überaus theatralischen Dramatik wegen aufführen will, muss ihm einen Kontext geben. Es schreit geradezu nach Distanz, die den trügerischen Wohlklang in seine historischen Grenzen weist und Brücken zur Gegenwart baut.

Nichts davon ist auf Stölzls Bühne zu sehen. Es gibt keinen Faust, keinen Mephisto und keine Margarete über die man diskutieren könnte. Es gibt nur Sänger und Sängerinnen. Sie klingen gut, gehen auf und ab und tragen Kostüme und Requisiten. Das ist etwa so bewegend wie eine Dauerwerbesendung des Fernsehens. Wenn nicht schlimmer. Die intellektuelle Leere dieses Nulltheaters ist reaktionär.

Dietmar Schwarz, der Intendant, sollte sich nicht täuschen. Er hat das schönste Gebäude und den besten Saal der drei Opern der Stadt. Mit einigen Inszenierungen (zum Beispiel „Don Giovanni“ mit Ildebrando D‘Arcangelo) hat er bisher dafür gesorgt, dass es sich auch mal lohnt, über Aufführungen der Deutschen Oper zu reden. Aber mit Philipp Stölzl ist er wieder dort angelangt, wo er sein Amt vor drei Jahren antrat: in der absoluten künstlerischen Bedeutungslosigkeit.

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