Predigt gegen die Initiative "Pro Reli": Verrat am christlichen Auftrag
Die Kirchen kämpfen in Berlin für ein Pflichtfach Religion statt Ethik an den Schulen. Dabei ist die ungerechte Schule als solche der Skandal. Eine Bergpredigt.
Jetzt also auch noch in der U-Bahn. Auf ihrem Schlussspurt zum Schulvolksbegehren "Pro Reli" haben die Berliner Kirchen verkündet, sie wollten in öffentlichen Verkehrsmitteln für den Religionsunterricht kämpfen. Noch sind nicht alle Unterschriften beisammen, die das Volksbegehren ermöglichen würden. Die Stimmung drehe sich, so verkünden die Prediger in der Messe. Und wollen nicht enden mit ihren Aufrufen. Sie vergällen damit dem reflektierten Kirchgänger nicht nur den Sonntagsgottesdienst.
Sie profanisieren zugleich die Idee der Kirche, indem sie ihre Unterschriftensammler im Wortsinn in den Untergrund schicken. Wie Bettler sollen sie in der Rushhour gestressten Pendlern eine Glaubensfrage unter die Nase halten. Und weil die nicht ausweichen können, bringen der evangelische Bischof und der katholische Kardinal alle Verkehrsteilnehmer in eine - pardon - bescheuerte Situation.
Man stelle sich vor: In Kreuzbergs U1 baggert einer der Pro-Reli-Drücker eine voll verschleierte Importbraut um ein Autogramm an. Die Anatolin soll also im rollenden Zug kapieren, dass es ihrem Islamunterricht nutzt, wenn sie dem Christen eine Unterschrift spendet. Bischof Wolfgang Huber und Georg Kardinal Sterzinsky legen ihren Pro-Reli-Kampf gern als konzertierte Aktion mit Buddhisten und Muslimen aus. In Wahrheit interpretieren sie das Musical "Linie 1" neu: Statt lustiges Kinderkabarett gibt es jetzt Kampf der Kulturen im ÖPNV.
Wir bitten Dich, lass sie ihren Huntington lesen!
Man fragt sich, gerade als Christ: Wofür kämpfen sie eigentlich? Meinen die Kirchenväter allen Ernstes, ihren Mitgliederschwund durch das Sinn- und Wortungetüm "Wahl- und Pflichtfach Religion" stoppen zu können? Glauben sie ihren eigenen Parolen? Die Argumente pro Religionsunterricht sind hergeholt, verschweigen vieles, spitzen ganz unchristlich zu. Sie sind, kurz gesagt, kein kleiner Verstoß gegen den Dekalog, in dem es heißt: Du sollst kein falsches Zeugnis geben. Du sollst nicht lügen.
Nachrichtlich gesprochen: In Berlin ist seit 2006 Ethik ab der siebten Klasse das für alle verpflichtende Glaubensfach. Religion wird selbstverständlich weiterhin angeboten - als Wahlfach. Dagegen mobilisieren nun die Kirchen. Sie wollen ein echtes Fach Religion - verpflichtend für ihre Schäflein, ein Wahl- und Pflichtfach eben.
Nun sind die religiösen Berliner Verhältnisse unübersichtlich. Berlin ist eine atheistische und zugleich multireligiöse Stadt. 60 Prozent (!) sind hier konfessionslos, 21 Prozent evangelisch, neun Prozent katholisch. Berlin ist obendrein die größte türkische Stadt außerhalb der Türkei, mit 76 Moscheen. Hier kann man nicht glaubwürdig gegen Ethik kämpfen. Daher haben die PR-Chefs der Kirchenväter die Plakate und Flyer mächtig zuspitzen müssen. Mal insinuieren sie, Reli werde aus den Schulen verbannt ("Wir glauben nicht, dass man auf Religion verzichten kann!") - was Kappes ist. Das Land Berlin bezahlt sogar weiter den Sold der Religionslehrer. Mal heißt es, die Kinder sollten die Wahl haben, was den Anschein erweckt, der böse Bürgermeister Klaus Wowereit unterdrücke die Christen, indem er sie in ein fremdgläubiges Fach zwinge. "Zwangsethik" nennen sie es.
Auch da schwingt Kulturkampf mit, und man fragt sich, ob die Hubers und Sterzinskys eigentlich einmal die einschlägigen antimuslimischen Hassseiten im Netz besichtigt haben. Sollten sie. Dann würde ihnen der Herr vielleicht ein Licht aufgehen lassen. Denn an genau jene Stereotype des antichristlichen Kreuzzuges im eigenen Land knüpft die Kirche an. Wissend oder unwissend, das spielt keine Rolle, die Wirkung macht's. Die Türken nicht vor Wien, sondern schon im Wedding, lautet die unchristliche Botschaft.
Wir bitten Dich, lass sie in sich gehen!
Was die Kirchen in Berlin gerade veranstalten, ist keine lässliche Sünde. Denn sie missbrauchen die Schule für rein organisatorische Zwecke. Die Kirche aber wird gebraucht. Um das viel größere Problem der Schule anzuprangern und beheben zu helfen - ihre große Ungerechtigkeit.
Und wir brauchen die Kirche, um der Gesellschaft nach dem 11. September 2001, dem 11. März 2004 (Madrid) und dem 7. Mai 2005 (London) die Angst zu nehmen. Es geht darum, nach den Anschlägen gegen den Westen auf die Muslime zuzugehen, sie einzubinden und in einen Dialog zu führen. Aber es ist falsch, öffentlich die Emotionen der Christen für eigennützige Zwecke zu benutzen.
Zu den großen Fragen unserer Zeit zählt, wie wir die Schulen wieder zu Orten der Zukunft und der Gerechtigkeit machen. Und wie wir den bedrohlich anschwellenden Krach der Religionskulturen vermeiden und zu einem Austausch kommen können. Beides verpasst die Kirche, ja sie erschwert es mit ihrem kleinherzigen Volksbegehren, dessen Ziel vor Ort kein normal Sterblicher versteht. Egal, ob dieses Plebiszit erfolgreich ist oder nicht, es wird Religionslehre in der Berliner Schule weiterhin geben. So oder so.
Es gehört zu den Grundsätzen, welche die Kirche ihren Mitgliedern einhämmert, den Nächsten zu lieben, gerecht zu sein und den Schwachen zu helfen. "Im Dienst am Nächsten, am Mitmenschen" zu sein, das zählt zur Kernbotschaft der abendländischen Religionen. Die Schule als solche verstößt in ihrer derzeitigen Gestalt eklatant gegen alle diese drei Prinzipien. Sie beschämt strukturell die Schüler, weil sie sie zu Hunderttausenden sitzen lässt und aussortiert. Sie liebt sie nicht, sie nimmt sie nicht als Personen an, sondern verzweckt sie, indem sie sie auf ihre Leistungen reduziert. Wer nicht mitkommt, muss gehen - und sei er ein großartiger Mensch.
Das schadet allen Schülern, besonders aber den Schwachen, die auf ein Leben ohne Beruf, ohne Teilhabe, ohne Zukunft getrimmt werden. Es gibt mittlerweile Bildungseinrichtungen, die sich Hartz-IV-Schulen titulieren, arme Schüler bekommen vielerorts kein Mittagessen. Die Schule also ist schreiend ungerecht. Sie spottet geradezu der christlichen Ursprungsgeschichte, dass noch das ärmste Kind in der Krippe der Messias sein könnte - aber wo ist die Kirche? Sammelt Unterschriften, auf dass Religionslehre ein neues Türschild bekomme.
Herrgott noch mal, lass Sie zur Besinnung kommen!
Zu jenen Gruppen, die in Scharen in die Container der Hoffnungslosigkeit gesperrt werden, die man Hauptschulen nennt, zu jenen Gruppen also zählen junge Berlino-Araber und Kreuzberger, Neuköllner und Weddinger Türken. Seit Jahrzehnten lassen wir sie verwahrlosen. Die Streetworker, die es seit einiger Zeit endlich wieder gibt, berichten von einer Brutalisierung und Remuslimisierung dieser Szene. Ein widersprüchlicher Prozess, den wir noch kaum durchschauen. Wir wissen aber: Er ist gefährlich. Denn neuerdings sind Messer im Spiel, in Bussen werden nicht Autogramme, sondern Opfer gejagt. Um dieser Entwicklung hinterherzukommen, braucht es drei Dinge: Chancen, Chancen, Chancen. Und Dialog.
Eines der wenigen Foren, in denen man ins Gespräch kommen könnte, wäre die Schule, genauer: eine gerechte Schule, die allen Schülern reelle Chancen bietet und die einen gemeinsamen, lebendigen Ethikunterricht über das gute Leben praktiziert.
Es ist ebenjene gerechte Schule, für die Kirche wenig unternimmt. Und genau der gemeinsame Ethikunterricht, gegen den sie ankämpft. Möge sie keinen Erfolg haben.
Wir bitten Dich, erhöre uns!
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