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Praxisbezug bis ins Amazonas-Gebiet

■ Trotz Aufforderung zur Selbstliquidation diskutierten Berlins Ethnomusikologen im Haus der Kulturen der Welt noch einmal über „Musik im interkulturellen Dialog“

Ethnomusikologen beschäftigen sich mit Musik, die nicht ihrem jeweils eigenen Kulturerbe entstammt, und als „-ologen“ tun sie dies zunächst wissenschaftlich. Die Frage nach der praktischen Relevanz ihrer Reflexion beantwortet sich schnell beim Drehen an der Rundfunkskala. „World Music“ hat sich längst auf dem Markt etabliert.

Die Ursprünge der Ethnomusikologie liegen im Berlin der Jahrhundertwende; ihre Tradition wird heute vom Seminar für vergleichende Musikwissenschaften der FU fortgesetzt. Verschiedene weitere Institutionen widmen sich ähnlichen Themen, etwa das „Internationale Institut für traditionelle Musik“ (IITM) in der Winklerstraße.

Alle diese Institutionen sind im Moment akut bedroht: Der FU wurde eine von zwei Professorenstellen gestrichen; über die skandalösen Vorgänge um das IITM, das wegen einer fehlenden Kleckersumme von gut 200.000 Mark per Erlaß zur Selbst-„Liquidation“ aufgefordert wurde, wurde schon wiederholt berichtet. Alle Bemühungen zur Rettung der von Max Peter Baumann betreuten Einrichtung blieben vergeblich; das Institut wird wahrscheinlich, wenn nicht in letzter Minute noch eine Überführung nach München zustande kommt, aufgelöst. In Berlin wird die Einrichtung auf keinen Fall bleiben.

Beispiele der Arbeit des Instituts und seiner Vielzahl an Kooperationspartnern aus aller Welt wurden in der Veranstaltung „Musik im interkulturellen Dialog“ vorgestellt, die im Rahmen eines Symposiums am 13. und 14. August im Haus der Kulturen der Welt stattfand.

Nachdem zu Beginn Studierende der FU unter dem Titel „Bedrohte Völker – bedrohte Institutionen“ die derzeit verheerende Situation in Berlin verdeutlicht hatten, beschäftigten sich insgesamt sechs Referat-Sessions mit Fragen zu Geschichte, Sinn und Zweck der Ethnomusikologie. Anstatt sich, wie sonst auf solchen Treffen, hinter dem Schutzwall akademischer Fachterminologien zu verstecken, stellte man u. a. Projekte mit klar definiertem Praxisbezug vor, von denen hier stellvertretend die von Tiago de Oliveira Pinto betreute Arbeit mit den Wayana-Aparai angeführt sei.

Die Kultur des im Amazonas- Gebiet beheimateten Volkes droht durch den anhaltenden christlichen Missionierungsdruck zu verschwinden. Nun konnten wenigstens Teile ihres kulturellen Erbes rückerstattet werden, nachdem die eher zufällig angelegte ethnographische Sammlung eines in den 50er Jahren in Brasilien tätigen technischen Sachverständigen ausgewertet wurde.

Direkt auf Berlin bezogenene interkulturelle Praxis kam in den Sitzungen zur „Musikpädagogik, Kulturvermittlung und Ethnomusikologie“ und zu „Technologie, interkulturellem Management und Marketing“ zur Sprache, wo sich Einrichtungen wie die „Werkstatt der Kulturen“ in Neukölln, das seit Jahrzehnten vom IITM veranstaltete „Festival für traditionelle Musik“, die „Heimatklänge“-Veranstalter „Piranha“ oder die internationale Bildungs- und Begegnungsstätte „Schlesische 27“ in Kreuzberg vorstellten.

Die Referate von Johannes Theurer, Musikredakteur beim Barackensender SFB 4 MultiKulti, und von Harald Jähner (HdKdW), der über „Marketing und Durchwursteln: Kulturaustausch als Überforderung“ sprach, überzeugten durch ihre Liebe zur Sache, Klugheit und eine den aktuellen Entwicklungen flexibel angemessene Reflexion.

Derlei fehlte völlig in den hilflos stochernden Äußerungen der Verteter des Senatskulturausschusses, die an den beiden abendlichen Panel-Diskussionen teilnahmen. Erneut bestätigte sich das Vorurteil, daß ein verständiger Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden einfach weit hinter ihrem Horizont liegt. Eindringlich artikulierte sich das Dilemma schon an dem Mißbehagen, das sie der Berliner Finanzsenatorin Fugmann-Heesing entgegenbrachten. Als gebürtige Herforderin könne sie sich ja gar nicht mit den Berliner Verhältnissen auskennen und demzufolge auch die kulturellen Bedürfnisse „dieser unserer Stadt“ nicht beurteilen. Eine Einschätzung, die Alice Ströver von den Grünen/ Bündnis 90, die ihre Inkompetenz in Sachen Ethnomusik ausschweifend, aber durchaus überzeugend beteuerte, mit ihrem Senatspartner Uwe Lehmann-Brauns teilt, der als CDU-Vertreter die Sessel des Kulturausschusses platt sitzt – ein glücklicherweise jeder Entscheidungskompetenz bares Gremium. Den Verwaltern der Mittelvergabe ist offenbar entgangen, daß das Berliner Kulturgeschehen in Inhalt und Durchführung seit jeher von Auswärtigen und Zugereisten geprägt wird.

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