Prantl-Affäre: Wer hat den Längsten?
SZ-Edelfeder Heribert Prantl beschrieb ein Essen, bei dem er nicht mit am Tisch saß. Aber er ist nicht der erste Mann, der sich von seiner Eitelkeit lenken lässt.
Nein, es gibt keine Beweise dafür, dass Journalisten sich Dinge für ihre Texte ausdenken, Journalistinnen aber nicht. Es fällt nur auf, dass die Fälle, in denen herauskommt, dass Dinge erzählt wurden, Interviews geführt, die so nie stattgefunden haben, Männer die Urheber waren. Ich halte das nicht für einen Zufall. Ich halte das für systemimmanent. Auswuchs des Systems „Journalismus“, das noch immer männlich geprägt ist und damit von der Idee des Wettbewerbs und des Schwanzvergleichs.
Anlass für diese Behauptung ist der Skandal um einen der besten Journalisten, den dieses Land hat – oder bislang hatte: Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung. Es geht um seine Ausführungen in einem Artikel über den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.
In diesem Text (erschienen am 10. Juli) beschreibt Prantl eine Szene, die er nicht erlebt hat, die sich aber gar nicht anders lesen lässt, als dass Prantl dabei war: „Man muss ihn am Küchentisch erleben. Man muss erleben, wie er ein großes Essen vorbereitet.“ Vor knapp anderthalb Jahren ist wegen einer ähnlichen Situation – der Spiegel-Autor beschreibt die Geschehnisse im Spieleisenbahnkeller von CSU-Chef Horst Seehofer – René Pfister der Egon-Erwin-Kisch-Preis aberkannt worden. Die Aufregung war groß.
Den Halbsatz vergessen?
Schon damals gerieten diejenigen, die so ein Vorgehen für legitim, und jene, die es für nicht zulässig halten, aneinander, und es fiel auf: Unter den Verteidigern waren auch jene Herren, die bei den bedeutenden Blättern die Reportage, das große Autorenstück verantworten. Sprich, die Vermutung entstand, dass es für sie nicht unüblich ist, Texte ins Blatt zu heben, für die die Autoren sich dieser Praxis bedienen, des „so tun, als ob“.
In beiden Fällen, dem von Prantl als auch dem von Pfister, wäre es ein Halbsatz gewesen, vielleicht auch nur ein Wort, um das Geschehen dahin zu bringen, wohin es gehört: zum Hörensagen. Beide hatten sich von Personen, die „dabei“ waren, das Geschehen beschreiben lassen, Seehofer selbst hat Informationen zu seinem Keller geliefert. Ein Satz wie: „Einer der Gäste beschreibt es so“ oder „Wie Horst Seehofer erzählt“ oder einfach nur ein Wort wie „angeblich“ oder „vermutlich“ hätte den Text – und damit das Ansehen des Journalisten – gerettet.
Doch diese einordnenden Worte sind nicht gefragt. Mit jedem Wort, das deutlich macht, der Autor war nicht vor Ort, wird der Autoren-Schwanz kleiner. So, wie die Attraktivität der Kampfhunde verschwand, in dem Moment, wo der Maulkorbzwang eingeführt wurde, mindert die Einordnung die Position des Schreibers als toller Hecht.
Im Redaktionszirkus ebenso wie in der gesamtdeutschen Medienlandschaft will jeder der Tollste sein. Der von der Seite drei und der, der aus den Wichtigen die News kitzelt. Toll ist, wer nah dran ist, das Journalisten-Glied wächst mit jedem Politiker, mit dem man sich zum Mittagessen trifft, und mit jedem Schauspieler, mit dem man nachts um die Häuser zieht.
Aus männlicher Wettbewerbslogik heraus ist es schlappschwänzig, aufzuschreiben, dass man sich hat schildern lassen, wie Andreas Voßkuhle das Essen bereitet. Die Szene zu haben und dabei gewesen zu sein, sind 100 Punkte auf der „Toller-Artikel-Skala“, die Szene zu haben, ohne dabei gewesen zu sein, nur 80.
Der Zeiger des Geilomat
Welche Auswüchse diese Olympiade annimmt, belegt sehr schön die Reaktion des Redakteurs Reinhard Müller von der konkurrierenden Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Müller war es, der öffentlich machte, dass Prantl nicht sauber gearbeitet hatte. Aber das sagte er so nicht, sondern der Konkurrent formulierte: „Andreas Voßkuhle mag kein Dressing. Aber er muss damit leben, dass ihm das von vermeintlichen Zeugen seiner Kochkunst angedichtet wird“, um dann weiter das Wahlrecht des Bundesverfassungsgerichts zu verhandeln – zwei Sätze, die kein Leser versteht, der nicht in der Materie drin ist. Was zu dem Zeitpunkt niemand war.
Dass das schlechter Journalismus ist, scheint dem Autor Müller egal, Hauptsache, er kann deutlich machen, dass er etwas weiß. Dass er Kontakte hat, die ihn – Nähe sei Dank – informieren. Der Leser? Egal, Hauptsache, der Zeiger des Geilomat schlägt aus! Prantls Versuch, sich durch Insiderwissen zu profilieren, wird übertrumpft durch das Wissen, dass Prantls Angaben falsch sind. Das kann man nur wissen …, wenn man im engen Kontakt zu Voßkuhle steht? Reinhard Müller ist derzeit im Urlaub, die Frage bleibt offen. Auf jeden Fall bringt die Müllers Anspielung immanente Schlussfolgerung Punkte auf das FAZ-Konto beim Führungswettbewerb zwischen der FAZ und der SZ.
Die Kleinredner und Zyniker unter meinen Kollegen nennen die Aufregung um Prantl „kleinlich“. Aus ihrem Buddy-Verständnis heraus folgerichtig. Außerdem möchten sie diese eben nach männlichen Kriterien etablierte Form des Journalismus ja nicht infrage stellen.
Der geschätzte Spiegel-online-Kollege Jan Fleischhauer geht so weit, zu sagen, Prantl habe halt einen Halbsatz vergessen, so what! Doch abgesehen davon, dass ich mich frage, was Herr Prantl sonst noch vergessen mag, wenn er nicht daran „denkt“, etwas, bei dem er nicht dabei war, so aufzuschreiben, dass man weiß, er war nicht dabei, negiert diese Annahme den Kern des Prantl-Pfister-Problems: das der Eitelkeit. Neben dem Wettbewerb mag es vor allem die Selbstverliebtheit sein, die die Herren so großzügig mit der Realität umgehen lässt. Denn warum sonst „passiert“ es ausgerechnet den Tollen dieser Branche? Denen, die so gut sind, die zu den Besten gehören? Denen, die alles zur Verfügung haben – Bildung, Begabung, Kontakte, einen fördernden Redaktionsapparat –, ihre Texte aufregend und interessant zu machen und die gar nicht darauf angewiesen wären, so zu tun als ob?
Die Messlatte bleibt oben
Der Skandal um Tom Kummer, von dem vor zwölf Jahren bekannt wurde, dass er sich die grandiosen Interviews, die er in so renommierten Blättern wie dem SZ-Magazin veröffentlichte, ausgedacht hat, offenbart eine allen Journalisten zusetzende Folge derlei „gepimpter“ Storys. Der Autor Peter Lau hat in seinem Text zum frühen Tod des Journalisten Marc Fischer – der sich, wie Lau berichtet, Figuren für seine Artikel ausdachte – das Problem benannt: die Messlatte wird nicht wieder herabgesetzt.
Tom Kummers Interviews waren so großartig, weil sie durch die Offenheit des Gegenübers überraschten. Stars wie Sharon Stone oder Brad Pitt erzählten Dinge, von denen man nie gedacht hätte, dass sie sie erzählen würden. Haben sie ja auch nicht. Dennoch wird genau diese Messlatte auch heute noch an Interviews angelegt. Ein Gespräch ist dann gelungen, wenn wir nicht glauben können, was wir da lesen.
Wie gesagt, die Reaktionen derer im Zuge des Pfister-Skandals, die in diesem Lande sagen, was guter Journalismus ist – nicht zuletzt, weil sie in Jurys wie der des Henri-Nannen-Preises oder des Reporter-Preises sitzen –, legen nahe, dass in den großen Häusern häufig genug mit aufgemotzten oder erdachten Szenen gearbeitet wird. Vor dem Hintergrund, dass alles noch toller, noch dichter, noch überzeugender sein muss. Fliegt die Herangehensweise wie jetzt auf, ist es dann wie bei einem Dopingskandal: Die Meisterschaft wird aberkannt, aber der Anspruch „höher, schneller, weiter“ bleibt.
Ich kann nicht behaupten, dass Frauen nicht auch zu diesen Mitteln greifen. Vielleicht aber sind wir nicht so anfällig dafür, weil uns der Wettbewerbsgedanke nicht so im Blut steckt wie den Männern. Weil wir zwar gut sein wollen und vielleicht auch die Beste, aber dafür nicht unseren Penis auf den Tisch legen müssen.
In der Diskussion um die Quote von Führungsfrauen in den Medien haben diejenigen mit Weitblick betont, wie gut es den vom ewigen Konkurrenzgedanken geprägten Männercliquen in den Redaktionen tun würde, wenn ein anderes Denken, eine andere Kultur zu arbeiten einziehen würde. Für einen Moment war ich geneigt, darin auch eine Lösung für die oben beschriebene Problematik zu sehen, unablässig zeigen zu wollen, dass man der Geilste ist. Dann erinnerte ich mich an Situationen, in denen Männer und Frauen beieinandersitzen. Die Hoffnung verflog sogleich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut