Präsidentschaftswahlen in Brasilien: Alle müssen an die Urne
Die Wahl hat begonnen, für alle 18- bis 70-Jährigen ist die Teilnahme Pflicht. Präsidentin Rousseff gilt als Favoritin, aber Ex-Umweltministerin Silva will in die Stichwahl.
RIO DE JANEIRO afp | In Brasilien haben am Sonntag die Präsidentschaftswahlen begonnen. Präsidentin Dilma Rousseff ging laut Umfragen als Favoritin ins Rennen, musste aber damit rechnen, sich in einer Stichwahl erneut den Wählern zu stellen. Zwischen dem Sozialdemokraten Aécio Neves und der Sozialliberalen Marina Silva zeichnete sich ein enges Rennen um den Einzug in die Stichwahl am 26. Oktober ab.
Letzte Umfragen vor der Wahl sagten Rousseff 40,6 bis 46 Prozent der Stimmen voraus. Neves kam auf 24 bis 27 Prozent der Stimmen, knapp dahinter folgte Silva mit 21 bis 24 Prozent der Stimmen. Allerdings waren für Rousseff im ersten Wahlgang womöglich auch weniger als 50 Prozent der Stimmen für eine sofortige Wiederwahl ausreichend; nach dem brasilianischen Wahlrecht muss der Sieger lediglich mehr Stimmen auf sich vereinen als alle Rivalen zusammen – Enthaltungen und ungültige Stimmen werden dabei nicht berücksichtigt.
Die Wahllokale öffneten am Sonntag um 08.00 Uhr Ortszeit (13.00 Uhr MESZ). Die Wahlkommission erwartete noch vor Mitternacht ein vorläufiges Ergebnis für den Ausgang der Präsidentschaftswahl, möglich machen das die in Brasilien seit 1996 üblichen elektronischen Wahlmaschinen.
Im bevölkerungsreichsten Land Südamerikas ist Wählen für alle 18- bis 70-Jährigen der rund 143 Millionen Einwohner Pflicht. 16- bis 18-Jährige sowie über 70-Jährige nehmen auf freiwilliger Basis teil. Die Brasilianer wählten neben dem Staatsoberhaupt und den 513 Parlamentsabgeordneten in Brasília auch die Gouverneure der 27 Bundesstaaten und ein Drittel der Senatoren. Mehr als 400.000 Sicherheitskräfte überwachten die Wahl.
Kandidat kommt ums Leben
Überschattet wurde der Wahlkampf von einem tragischen Unfall: Mitte August wurde der 49-jährige sozialistische Kandidat Eduardo Campos beerdigt, der bei einem Flugzeugunglück umgekommen war. An seine Stelle trat die 56-jährige Ex-Umweltministerin Silva – und legte in den Umfragen sofort deutlich zu. Mit der Amtsinhaberin lieferte sie sich im Wahlkampf immer wieder einen Schlagabtausch, insbesondere beim Thema Armutsbekämpfung.
Rousseff und ihr Amtsvorgänger Luiz Inácio Lula da Silva können sich zugute halten, in zwölf Jahren rund 30 bis 40 Millionen Brasilianer aus der Armut in einen bescheidenen Wohlstand verholfen zu haben. Rousseffs Wahlkämpfer streuten den Verdacht, ihre Herausforderin Silva wolle das Programm „Familienstipendium“ abschaffen, das bei dieser positiven Entwicklung von zentraler Bedeutung war.
Dem widersprach die in armen Verhältnissen aufgewachsene Silva bei einem Wahlkampfauftritt in Fortaleza: „Wir werden das Familienstipendium weiterführen – und weißt Du (Dilma), warum?“ Sie erinnere sich, als Kind ihre Eltern gefragt zu haben, warum sie nichts äßen, sagte Silva. „Meine Mutter hat geantwortet: 'Wir haben keinen Hunger.'“ Als Kind habe sie das geglaubt, sagte die Kandidatin. Erst später habe sie verstanden, dass ihre Eltern in Wahrheit oft Hunger litten, ohne dies ihrem Kind eingestehen zu wollen.
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