Präsidentschaftswahl in den USA: Beim Wahlkampf an der Haustür geht es nicht um Argumente
In den USA dringt der Wahlkampf in jede Ecke des Privatlebens ein, über Themen wird kaum noch geredet. Eine Mischung, die den Schlaf rauben kann.
E s ist Mitternacht in New York, ich kann nicht schlafen. Ich höre „The Daily“, der Podcast empfiehlt, nicht vor dem Einschlafen auf die Umfragen zu gucken, danach höre ich eine Stunde lang der Umfrage-Analyse zu. Als ich in den USA angekommen bin, habe ich Menschen überall zu ihren politischen Einstellungen befragt, Bücher mit Notizen gefüllt, alles fand ich very interesting.
Mittlerweile finde ich alles very furchtbar, in zehn Tagen wird statistisch jeder Zweite hier einen Mann wählen, der im Minutentakt Gründe liefert, ihm unter keinen Umständen den eigenen Kaktus anzuvertrauen, geschweige denn die größte Ökonomie des Westens. Election anxiety nennt man die Angst, die sich hier gerade im ganzen Land ausbreitet. In den USA sind Straßenplakatierungen nicht erlaubt, deswegen wird Wahlkampf eben auf allen anderen Flächen gemacht. Etwa auf Buttons, die Freiwillige an Straßenständen verkaufen; die Auswahl wächst mit der Zeit. Nach dem Taylor-Swift-Endorsement kam „Swifties for Harris“ dazu, nach dem Childless-Catlady-Kommentar kam „Catlovers for Kamala“. Wahlkampf findet auch auf Laptops, Trinkflaschen und Stoßdämpfern statt, wo Trump- oder Harris-Sticker kleben, auf Schildern in Vorgärten, auf Trump-Tangas (ab 10,99 Dollar) und Kamala-Baby-Stramplern (ab 9 Dollar).
Dafür, dass der Anspruch auf ein unpolitisches Privatleben in den USA so großgeschrieben wird, ragt der Wahlkampf in bemerkenswerte Tiefen des privaten Raumes. Ein Großteil der Kampagnen aber findet unter dem eigenen Daumen und auf kleinen Handybildschirmen statt, Obama-Clips laufen auf Repeat, virale Twitter-Videos zeigen Mütter in SUVs, die andere Frauen ermutigen, heimlich Harris zu wählen, Trump frittiert, das Netz brennt. Wäre es nicht so düster in der Welt, wäre dieser Wahlkampf olympisches Kabarett.
Ich besuche einen Door-Knocking-Kurs, als Vorbereitung für den Haustürwahlkampf. Ich lerne, dass es in den Gesprächen gar nicht um Argumente geht, sondern nur um die Erinnerung ans Wählen, logisch und dramatisch fühlt sich das an, da plant jemand akribisch die Zersetzung der Demokratie und wir setzen dagegen die Erinnerung, vielleicht ein Kreuz zu machen. Ich lerne auch, dass man sich auf keinen Fall auf Gespräche mit Trumpwählern einlassen soll, das würde sie aufstacheln, dann gingen sie garantiert wählen, statt es zu vergessen. Man nennt es Wahlkampf, im Kern ist es Politik als Massenpsychologie, Form statt Inhalt, Messages statt Diskussion, ein Marketingwettkampf mit unbezahlbarem Einsatz.
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Faschist und Demokratin werden gleichermaßen zu Helden stilisiert, man wählt nicht, man liebt den Kandidaten, jedes Lieblingswürstchen, jedes Hundefoto wird als Zeichen charakterlicher Eignung und politischer Integrität gewertet. Dass es gar nicht um die Wahl eines Superhelden geht, sondern um viel mehr, um die politischen Bedingungen, unter denen wir alle in den nächsten vier Jahren arbeiten werden – darüber spricht kaum wer.
Auf Twitter verkündet Trump fälschlicherweise, dass er in allen Umfragen vorne liegen würde, ich bekomme eine Einladung für ein Training zur Wahlbeobachtung. Der große Horror, so sieht es aus, kommt erst noch. Es ist zwei Uhr nachts, ich kann nicht schlafen.
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