Präsidentschaftswahl in den USA: Der begehrte weiße Arbeiter
Die Wahl zum US-Präsidenten entscheidet sich in den „Battleground States“. Einer davon ist Pennsylvania, in dem Trump 2016 knapp gewinnen konnte.
If we win Pennsylvania, we win the whole thing!“, rief Donald Trump seinen Anhängern am Dienstag in der postindustriellen Stadt Erie zu. Denn es liegt auf der Hand, dass auch am 3. November wieder die „Battleground States“ die US-Präsidentschaftswahl entscheiden werden. Der Wahlkampf konzentriert sich daher auf Staaten wie Florida, North Carolina, Arizona oder Pennsylvania, in denen äußerst knappe Ergebnisse erwartet werden. Hier geht es um die Unentschlossenen und die Wechselwähler – und um viele Stimmen im Electoral College, dem Wahlleutegremium. Besonders knapp ist die Lage in Pennsylvania im Nordosten der USA, dem an der Bevölkerung gemessen mit knapp 13 Millionen Einwohnern fünftgrößten Bundesstaat. Hier könnte die Entscheidung über die Zukunft des Landes fallen, und nirgendwo sonst wird der Wahlkampf im Moment so heftig geführt wie hier.
Eigentlich war Pennsylvania lange ein Stein in der Blauen Mauer – blau ist die Parteifarbe der Demokraten – und fest in der Hand der Demokraten gewesen. Seit 1992 holten sie dort sechs Mal in Folge die Mehrheit. 2016 jedoch fielen der Staat und seine 20 Wahlmänner an die Republikaner. Donald Trump schlug Hillary Clinton hier mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur 0,72 Prozentpunkten.
Clintons Niederlage und Trumps Erfolg in Pennsylvania sind erklärungsbedürftig. Denn während die Republikaner seit je die ländlichen Gegenden des Staates dominieren – gehässig „Pennsyltucky“ genannt –, hatten die Demokraten vor allem die Bewohner der Großstadtregionen rund um Philadelphia und Pittsburgh sowie die afroamerikanischen Wähler fest auf ihrer Seite.
Den Ausschlag gab vor allem das Wahlverhalten der weitgehend weißen Arbeiterschaft im Westen und Nordosten, in Städten wie Erie oder Scranton. Sie waren Stammwähler der Demokraten gewesen: Handwerker, Fabrikarbeiter und Arbeiter im Energiesektor sowie gerade auch diejenigen, die unter dem Niedergang der Stahlindustrie und des Bergbaus besonders zu leiden hatten. Clinton hatte sie 2016 kaum beachtet, aber auch die Wirtschafts- und Umweltpolitik der Demokraten hatte sie Stimmen gekostet. Denn wenn man in Washington von Klimawandel und Umweltschutz spricht, dann klingt das in vielen Teile Pennsylvanias nach Jobverlust, sozialem Abstieg und Bedrohung der Existenz.
Donald Trump ist es 2016 gelungen, Pennsylvania für die Republikaner zu erobern – gerade durch Zulauf aus der „white working class“. Mit kalkulierten Tabubrüchen, Hetze gegen Washington, Rassismus, einem groß angekündigten Infrastrukturprogramm und dem Versprechen, auch wirtschaftlich an „America first“ zu denken, konnte er eine wahlentscheidende Zahl der vom sozialen Abstieg und von wirtschaftlichen Existenzängsten geplagten Bewohner für sich gewinnen. Und es gelang ihm, diejenigen Menschen zu mobilisieren, die ihren gesellschaftlichen Status auch kulturell durch die progressive Politik der Demokraten bedroht sehen.
Trump kämpft, seine „Coalition“ von 2016 wieder zusammenzuführen. Er appelliert an den Ethnonationalismus weißer Wähler, agitiert gegen den „senilen“ Biden, den er als Agenten der „radikalen Globalisten“ oder der „Kommunisten“ aus China brandmarkt. Dieses Komplott sei für den Abbau von heimischen Arbeitsplätzen, der Abwicklung der Industrie, den Verfall der Städte und dem „Einfall“ von Fremden verantwortlich.
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Biden setzt hingegen darauf, die verlorenen Wähler zurückzugewinnen. Seit Juni war er dreizehn Mal in Pennsylvania und hat in den letzten Wochen Wahlkampfauftritte in vielen Städten West-Pennsylvanias, am Bürgerkriegsschlachtfeld in Gettysburg, in Scranton, Erie und jüngst Philadelphia absolviert. Hier will Biden die Blaue Mauer wieder aufbauen.
Seine Strategie: die kulturellen und sozialen Gemeinsamkeiten mit den Menschen in Pennsylvania betonen und die Wahl als Schlacht von „Park Avenue versus Scranton“, zwischen der „Mar-a-Lago Crowd“ und den ehrlichen Arbeitern zu stilisieren. Biden pocht daher auf seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen, von der er bei seinen Auftritten im Dialekt von „Pennsyltucky“ erzählt. Er spricht von seinen katholischen Wurzeln, seiner Kindheit in Armut und der Arbeitslosigkeit seines Vaters.
Den Underdog zu spielen ist gewiss kein leichtes Unterfangen für einen Politiker, der 36 Jahre im Senat saß und 8 Jahre Vizepräsident war. Und weder der Anspruch auf moralische Überlegenheit noch Trumps Versagen in der Coronapandemie werden als Argumente ausreichen, weshalb Biden gerade auch mit der Wirtschaft argumentiert: Er bekennt sich offen zum Fracking, einem wichtigen Wirtschaftsfaktor in Pennsylvania – und widerspricht nun offen vielen früheren Aussagen führender Demokraten, die sich lieber als Umweltschützer profilierten. Mit einem massiven Infrastrukturprogramm will er der US-Wirtschaft wieder auf die Beine helfen.
Diese Strategie scheint aufzugehen, denn die Umfragen bescheinigen Biden einen komfortablen Vorsprung. Aber verlassen wird man sich darauf weder im Lager der Demokraten, für die am Mittwoch nun auch Barack Obama in Philadelphia in den Wahlkampf zog – noch hat Trump Pennsylvania nicht verloren gegeben. Daher sollte man in den nächsten Wochen genau darauf achten, wie beide alles daransetzen werden, die Arbeiterschaft von Pennsylvania zu mobilisieren. Denn der größte Unsicherheitsfaktor, aber auch das größte Potenzial liegt in der Zahl derjenigen weißen Wahlberechtigten ohne Universitätsabschluss, die 2016 gar nicht zur Wahl gegangen waren: Hier geht es nach Schätzungen von Experten um mehr als zwei Millionen potenzielle Stimmen. Wem es gelingt, hier einen entscheidenden Vorteil zu erlangen, dem wäre ein Sieg in Pennsylvania beinahe garantiert. Und es ist gut möglich, dass die Präsidentschaftswahl genau hier entschieden wird.
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