Präsidentschaftswahl in Mexiko: Wohlstand ja, Ende der Gewalt nein

Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum verspricht Frieden und ein wohlhabendes Land. Die Morde und das Verschwindenlassen erwähnt sie nicht.

Claudia Sheinbaum streckt die Arme fröhlich in die Höhe

Die neue mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum ist Ziehtochter ihres Vorgängers López Obrador, deutet aber einen Politikwandel an Foto: Marco Urgate/ap

MEXIKO-STADT taz | Am Ende des Tages steht Claudia Sheinbaum auf dem zentralen Zócalo-Platz im Zentrum von Mexiko-Stadt und klatscht in die Hände. „Das erste Mal in der 200-jährigen Geschichte Mexikos wird mit mir eine Frau Präsidentin“, ruft das neu gewählte Staatsoberhaupt den An­hän­ge­r*in­nen zu. Und die reagieren mit Sprechchören: „Präsidentin, Präsidentin!“ Es ist Sonntagnacht, ein Uhr, und dennoch sind Tausende im Herzen der Metropole auf den Beinen.

Kurz zuvor hat die Nationale Wahlbehörde die ersten Hochrechnungen der mexikanischen Präsidentschaftswahl verkündet. Demnach kann Sheinbaum, die Kandidatin der linken Morena-Partei des Staatschefs Andrés Manuel López Obrador (kurz: Amlo), etwa 60 Prozent der Stimmen für sich verbuchen. Ihre Konkurrentin Xóchitl Gálvez vom oppositionellen Mitte-rechts-Bündnis kommt dagegen nur auf maximal 28 Prozent. Die Politikerin sowie der abgeschlagen auf Platz drei liegende Kandidat Jorge Máynez von der „Bürgerbewegung“ erkannten ihre Niederlage nach Verkündung des Zwischenergebnisses an.

Die Menschen, die an diesem Abend auf den Zócalo gekommen sind, feiern nicht nur Sheinbaum, sondern auch jenen Mann, der den Erfolg der 61-jährigen Physikerin erst möglich machte: López Obrador. Zwischen den weiß-braunen Fahnen der Morena-Partei, Blaskapellen und Gewerkschaftsgruppen bieten Händler Puppen des Politikers an, in Sprechchören rufen seine Anhänger*innen: „Es ist eine Ehre, mit López Obrador zu sein!“ Wegen seiner Sozialprogramme und seines populistischen Diskurses erfreut sich Amlo auch nach fast sechsjähriger Amtszeit großer Beliebtheit.

Morena gewinnt Mexiko-Stadt

Spektakulärer als der zu erwartende Erfolg Sheinbaums ist der Sieg der Morena-Kandidatin für die Hauptstadt-Regierung, Clara Brugada. Dass die bisherige Bürgermeisterin des armen Bezirks Iztapalapa gewinnen würde, war nicht ausgemacht. López Obrador hatte in Mexiko-Stadt an Zustimmung verloren, da sich frühere Un­ter­stüt­ze­r*in­nen aus der Mittelschicht sowie linke Kri­ti­ke­r*in­nen wegen seines aggressiven Auftretens ihnen gegenüber von ihm abgewandt hatten.

Sheinbaum, die im Gegensatz zu Amlo besonnen auftritt, ließ in ihrer ersten Rede durchscheinen, dass sie sich vom polarisierenden Kurs ihres Vorgängers abwenden könnte. Man müsse „in Frieden und Harmonie voranschreiten, um ein gerechtes und wohlhabendes Mexiko aufzubauen“, sagte sie.

Sollte sich die Tendenz bestätigen, nach der das Bündnis der linken Regierungspartei mit den Grünen und der Arbeiterpartei die qualifizierte Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat stellt, stehen der künftigen Präsidentin viele Türen offen.

Clemente Rodriguez Morena, Vater eines Verschwundenen

„Sie sprach von Straßen, aber nicht über Ayotzinapa“

Gewalt überschattete den Wahlkampf

Wie bereits die vergangenen Monate waren auch die letzten Tage des Wahlkampfs von zahlreichen Gewalttaten überschattet. Im Bundesstaat Puebla kamen zwei Menschen bei bewaffneten Angriffen auf Wahllokale ums Leben. Am Freitag wurde der Lokalpolitiker Jorge Huerta ebenfalls in Puebla erschossen, Tage zuvor traf es zwei Kandidaten in den Bundesstaaten Guerrero und Michoacán. Dem Thinktank Laboratorio Electoral zufolge starben insgesamt 84 Menschen im Kontext des Wahlkampfes, 37 von ihnen waren An­wär­te­r*in­nen auf eine Kandidatur oder waren bereits Kandidat*innen.

Hinter den Angriffen stecken meist kriminelle Organisationen, die ihren Einfluss auf lokale Regierungen sicherstellen wollen, um weiter ihren Geschäften nachgehen zu können. Die Gewalt im Wahlkampf, so López Obrador, habe sich entfesselt, „weil das Volk vernachlässigt wurde und die Behörden mit dem organisierten Verbrechen verstrickt sind“. Dafür macht López Obrador die „konservative Elite“ der Vorgängerregierungen verantwortlich. Viele seiner Kri­ti­ke­r*in­nen sind jedoch überzeugt, dass er keine kohärente Strategie entwickelt habe, um der Gewalt und den massiven Menschenrechtsverletzungen Einhalt zu gebieten.

Diese Unzufriedenheit brachten Angehörige von Verschwundenen am Wahltag zum Ausdruck. Sie „wählten“ schlicht ihre Liebsten, indem sie deren Namen auf den Stimmzettel schrieben. Griselda Triana, die Witwe des vor sieben Jahren ermordeten Journalisten Javier Valdéz erklärte, sie habe ihren Mann gewählt, weil das Verbrechen bis heute straflos geblieben sei.

Weniger optimistisch als Sheinbaums An­hän­ge­r*in­nen auf dem Zócalo ist auch Clemente Rodriguez Morena, der Vater eines der 2014 verschleppten 43 Studenten des Ayotzinapa-Lehrerseminars im Bundesstaat Guerrero. Er rechnet nicht damit, dass die angehende Präsidentin Licht in das Dunkel des Verbrechens bringt, dessen Aufklärung schon Amlo bei seinem Amtsantritt zur Chefsache erklärt hatte.

Der taz berichtete er von einem Protestcamp, das die Angehörigen während eines Auftritts von Sheinbaum im März auf dem Zócalo installiert hatten: „Sie sprach von Straßen, Zügen und Großprojekten, verlor aber kein Wort über das Morden, das Verschwindenlassen und den Fall von Ayotzinapa.“

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