Präsidenten-Wahl in Russland: Der Souverän als Hampelmann
Damit die Wahlbeteiligung am Sonntag nicht unter fünfzig Prozent fällt, versuchen die Machthaber ihre Wähler mit Geschenken zu locken.
Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff, setzt auf tiefgreifende Reformen unter Medwedjew. "Wir sollten ihm einen Vertrauensvorschuss geben. Er hat eine umfassende Modernisierung in Wirtschaft und Gesellschaft angekündigt."
Russlands Demokratie nennt sich "souverän". Der Unterschied zu Demokratien ohne Beiwort besteht darin, dass die souveräne Demokratie nichts dem Zufall überlässt, schon gar nicht den Ausgang von Wahlen. Am Sonntag wählt Russland einen neuen Präsidenten. Der Sieger steht schon fest. Er wird Dimitri Medwedjew heißen und ist der Wunschkandidat des scheidenden Präsidenten Wladimir Putin.
In Umfragen liegt der enge Vertraute des Kremlchefs mit rund 70 Prozent Zustimmung ausgezeichnet im Rennen. Auch drei Mitläufer haben sich gefunden. Gennadi Sjuganow von den Kommunisten ist wieder dabei, und auch der nationalistische Politclown Wladimir Schirinowski nimmt zum fünften Mal an der Kür des Kremlkandidaten teil.
Als neues Gesicht stellte der Kreml den völlig unbekannten Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Andrei Bogdanow, auf. In einer Wahlsendung des Armeekanals "Swesda" fiel Schirinowski über einen Vertreter dieser Partei her und verprügelte ihn vor laufender Kamera. Zwar schaut kaum ein Bürger die in die frühen Morgenstunden verbannten Scheindebatten, der Vorfall sorgte jedoch für Gesprächsstoff. War auch dies inszeniert, um Demokratie ein für alle Mal zu diskreditieren?
Zum Drehbuch würde es passen. Vertreter des liberaleren Spektrums, wie der frühere Premierminister Michail Kassjanow und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow, warf die zentrale Wahlkommission aufgrund von vermeintlichen "Unkorrektheiten" schon beim Bewerbungsprozedere aus dem Wettbewerb.
Selbst diese Sicherheitsmaßnahmen reichten den Moskauer Politingenieuren noch nicht. Damit die "systemkonforme" Opposition vielleicht nicht doch einen kleinen Achtungserfolg erzielt, wurde schnell noch ein Erlass verfügt. Am 2. März wird einem Plakat in den Wahllokalen zu entnehmen sein, dass die Anwärter Schirinowski und Sjuganow falsche Einkommensangaben gemacht haben. Dimitri Medwedjew betrifft dies nicht, denn der langjährige Leiter der Präsidialadministration, Gazprom-Aufsichtsratsvorsitzende und Vizepremier ist zwar keine Kirchenmaus, aber doch ein Mann von bestechender Bescheidenheit. Laut Vermögensbescheid rangiert er in der unteren Mittelschicht.
Die OSZE-Wahlbeobachter entschieden, sich an dieser Komödie nicht zu beteiligen. Moskaus Demokratie verzichtet gern auf Legitimation von außen. Dem Wähler ist auch weniger an Demokratie als an Stabilität gelegen, und die verkörpert Medwedjew als Wunschkandidat Putins, der ihn dem Volk als eine Reinkarnation seiner selbst anpreist.
Ginge es nach dem Willen des Volkes, hätte Putin gar nicht aus dem Amt scheiden müssen. Zwei Drittel der Bevölkerung zögen eine dritte Amtsperiode des Patriarchen einem Wechsel vor und würden dafür auch eine Verfassungsverletzung billigen. Und so bedrückt nur eine Unwägbarkeit die Regie. Gehen auch genügend Bürger an die Urnen, wenn alles vorab entschieden ist? Zwar wurde die Mindestbeteiligung aus dem Wahlgesetz gestrichen, aber der Garant der Stabilität sollte sich schon auf die Hälfte des Wahlvolkes stützen können.
Die beste Art, dem Präsidenten seine Liebe zu bekunden, sei eine hohe Wahlbeteiligung, sagte ein Mitarbeiter der Wahlkommission, der anonym bleiben wollte. Die Wählermobilisierung läuft auf Hochtouren. Die Gouverneure in den Regionen erhielten Sollvorgaben. Wer unter 65 Prozent bleibt, muss mit Konsequenzen rechnen. Schließlich ernennt der Kreml die Gouverneure.
In Rostow am Don wurde für den Sonntag in den Wahllokalen Kinderbetreuung eingerichtet. Die kleinen Staatsbürger dürfen das "Oberhaupt des Zauberlandes" wählen. In Twer nördlich von Moskau verspricht die Administration dem Souverän einen hübschen Kalender und die Teilnahme an einer Tombola. In Wladimir erhält der Wähler nach dem Gang an die Urne einen Teilnahmeschein, den er Montag am Arbeitsplatz vorzulegen hat.
Zweifel werden auch an der Haltbarkeit der Tandem-Lösung laut. Medwedjew zieht in den Kreml ein und Putin übernimmt die Geschäfte des Premiers. So bleibt die fragile Machtbalance zwischen den um Pfründen und Zugriff streitenden Kreml-Clans erst einmal gewahrt. Aber wie lange wird das gut gehen? Dem Premier fällt im russischen System die Rolle des armen Teufels zu. Ihn macht das Volk für alles Missgeschick verantwortlich. Der Zar dagegen steht über jeglicher Kritik. Wird sich Putin auf dem Rücksitz dieses Tandems wohl fühlen? Alexander Woloschin, von 1999 bis 2003 Chef der Präsidialadministration, äußerte an der Strapazierfähigkeit der Konstruktion Bedenken. Drei Jahre arbeiteten er und Medwedjew in der Administration zusammen. Die Gefahr sei nicht, dass das bisherige Vater-Sohn-Verhältnis wegen persönlicher Meinungsunterschiede in einem Zerwürfnis enden könnte. Die Herausforderung seien die "inneren bürokratischen Konflikte". Muss ein Machtwort gesprochen werden, behält dies die Verfassung dem Präsidenten vor.
Kaum vorstellbar, dass der künftige Premier Putin sich damit abfindet und im Weißen Haus unter dem Porträt des Ziehsohnes harrt, bis er zum Rapport antreten darf. Schon gar nicht, um sich so behandeln zu lassen, wie es seine Ministerpräsidenten von ihm gewohnt waren. Nach den Wahlen wird es in Russland wieder spannend.
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