Präsident Erdoğan feuert Zentralbankchef: Türkische Lira im freien Fall
Staatschef Erdoğan tauscht den Leiter der Zentralbank aus. Damit verursacht er einen Sturz der Währung – und einen Anstieg der Lebenshaltungskosten.
Der Grund: Präsident Recep Tayyip Erdoğan feuerte Zentralbankchef Naci Agbal genauso überraschend, wie er ihn im November ernannt hatte. Laut der Nachrichtenagentur Reuters waren die Finanzmärkte weltweit geschockt. Denn gerade die Politik von Agbal hatte dazu geführt, dass die Lira eine lange anhaltende Talfahrt beendet. Agbals wichtigstes Mittel, um die Lira wieder zu stabilisieren, war die Anhebung des Leitzins. Nachdem er den Leitzins bereits kurz nach seiner Amtseinführung von 12 auf 17 Prozent – bei einer Inflationsrate von 15 Prozent – erhöht hatte, hob er den Zins Anfang März auf 19 Prozent an.
Was internationale Investoren und Anleger freute und in den fünf Monaten, in denen Agbal amtierte, rund 20 Milliarden Dollar dringend benötigtes frisches Kapital ins Land gebracht hatte, brachte einen Teil der inländischen Unternehmen in Schwierigkeiten, weil sich für sie die Kredite verteuerten. Große Unternehmen, die viel Schulden in Dollar haben, profitierten von dem neuen Kurs, kleine Unternehmen die während der Pandemie sowieso in Schwierigkeiten waren, litten darunter, weil ihre Kredite teurer wurden.
Jetzt hat sich bei Erdoğan wieder die Fraktion kleinerer Unternehmen aus dem Umfeld seiner Partei AKP durchgesetzt. Der neue Zentralbankchef Sahap Kavcioglu, ist ein international völlig unbekannter Mann, der aus den Reihen der staatlichen Halk-Bank kommt und zuletzt fünf Jahre für die AKP im Parlament gesessen hat. Er wird auf den internationalen Finanzmärkten kein Vertrauen schaffen können, zumal Erdoğan mit seiner Aktion erneut gezeigt hat, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht mehr existiert.
Über die regierungsnahe Zeitung Yeni Safak hatte Kavcioglu Agbal scharf angegriffen und sich zu Erdoğans islamisch-grundierter Auffassung bekannt, dass Zinsen schädlich sind und möglichst niedrig sein sollten. Prompt hat er nun den Job bekommen. Die Konsequenzen kamen ebenso prompt: Für einen Dollar muss man wieder mehr als 8 Lira statt wie zuvor 7 Lira zahlen, und der Euro marschiert auf ein Verhältnis von 1 zu 10 zu. Damit werden die Lebenshaltungskosten in der Türkei wieder in die Höhe schnellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Experten warnen vor Trump-Zöllen
Höhere Inflation und abhängiger von den USA
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?
Klimagipfel in Baku
Nachhaltige Tierhaltung ist eine Illusion