Postdubstep aus London: Sanfte Landung
Atmosphärenmeister des Emotionalen: Der Londoner Elektronik-Produzent SBTRKT und sein neues Album „Wonder Where We Land“.
Der Musik des Londoner DJs und Produzenten SBTRKT – gesprochen Subtract – fehlt das, was man im klassischen Sinn Wiedererkennungswert nennt. Nicht nur, weil ihr Komponist bei seinen Liveshows stets eine Maske trägt. Auch musikalisch gesehen macht SBTRKT offenbar nie zweimal dasselbe. Sein Debütalbum aus dem Jahr 2011 – es hieß „SBTRKTt“ – war ein euphorisch gefeierter Erfolg in Großbritannien. Wer nun erwartet hat, dass das zweite Album eine Kopie des ersten sein würde, sieht sich getäuscht.
Das neue Werk trägt den bezeichnenden Titel „Wonder Where We Land“, denn wo sein Sound diesmal landen würde, wollte SBTRKT, der eigentlich Aaron Jerome heißt, gar nicht wissen, wie er selbst sagt. Gut gelaunt sitzt er auf einem weißen Sofa in einem Hotelzimmer in Berlin-Mitte und redet so schnell, dass er sich manchmal selbst ins Wort zu fallen scheint.
„Wenn ich an einem Album arbeite, versuche ich den Entstehungsprozess und die Musiker, mit denen ich zusammenarbeite, nicht zu kontrollieren. Also kann ich auch nicht wissen, wohin es geht. Sampha und ich haben mit den Aufnahmen begonnen auf Osea Island, in Ostengland – das Studio war mitten im Nirgendwo. Davor waren wir drei, vier Jahre nicht gemeinsam im Studio. Ich fragte mich also, was nun passieren würde – so ist der erste Song ’Wonder Where We Land‘ entstanden“, erzählt Jerome.
Der britische Sänger Sampha ist auf „Wonder Where We Land“ bei vier Tracks zu hören – man könnte sagen, er ist SBTRKTs Sidekick. Seine rauchige, aber klare Stimme hat genau den Wiedererkennungswert, der SBTRKT fehlt. Schon auf dem Debütalbum sang Sampha zu sieben der 13 Tracks. Nach der Veröffentlichung waren die beiden auch gemeinsam auf Tour, was zu dem Missverständnis führte, dass es sich bei SBTRKT um ein Duo handelt. Jerome stört sich daran nicht. „Wir haben beide ähnliche Ideen und gehen unsere Wege gemeinsam. Unsere Auffassung von Musik ist zwar unterschiedlich, aber wir haben eine Schnittmenge, die sehr gut funktioniert.“
SBTRKT: „Wonder Where We Land“ (Young Turks / XL Recordings / Beggars Group / Indigo).
Live: 10. 11. „Theaterfabrik“, München, 11. 11. „Astra Kulturhaus“, Berlin, 13. 11. „Uebel & Gefährlich“, Hamburg
Wem es beim Debütalbum Schwierigkeiten bereitete, dass der Sound des Londoner DJs keinem Genre zuzuordnen war, der wird auch diesmal nicht mit seiner Musik glücklich. Diese verwaschene Form von Postdubstep, die schon bei SBTRKTs Debüt die Basis war, ist bei „Wonder Where We Land“ noch verfeinert. Jerome kombiniert in diesem Sound Bruchstücke von Rap, Dubstep und R&B mit ausgewachsenen elektronischen Beats, Schlagzeug und Klavier.
Experimentelle Ader
Sein Sound hat Leichtigkeit und Tiefe zugleich, man kann dazu tanzen, aber die Musik macht auch nachdenklich. Zudem ist „Wonder Where We Land“ experimenteller als das Debüt. Die Musiker, die SBTRKT diesmal für die Produktion engagiert hat, scheinen seine experimentelle Ader zu teilen. Vielleicht ist es aber auch genau andersrum.
Vorgaben und Wiederholungen würden ihn langweilen, erklärt Jerome. Vielleicht sucht er sich deshalb musikalische Unterstützung aus entlegenen Ecken. Die Wahl der Künstler verwirrt nicht nur seine Fans, sie überrascht sogar die angefragten Musiker selbst, sagt er. „Mir passiert es oft, dass Künstler, mit denen ich über eine Zusammenarbeit spreche, zunächst ratlos reagieren, weil sie ganz andere Musik machen als ich“, sagt er.
Auch für „Wonder Where We Land“ hat sich SBTRKT sehr gezielt Stimmen ins Studio geholt, etwa Ezra Koenig, den Sänger der New Yorker Band Vampire Weekend („New Dorp, New York“), den Rapper Ferg vom New Yorker HipHop-Kollektiv A$AP Mob („Voices In My Head“), den jungen Songwriter-Neuling Raury („Higher“) und die auf seinem ersten Album bereits hervorgetretene Sängerin Jessie Ware („Problem (Solved)“), deren eigene Popballaden auch zu loben sind.
Empfohlener externer Inhalt
Während des Interviews sitzt Aaron Jerome auf dem weißen Sofa und redet so schnell und so viel, dass er auch mal vergisst, was eigentlich die Frage war. Dann wird klar: Die afrikanisch inspirierten Masken, die er bei Liveshows trägt, haben nichts mit Schüchternheit zu tun. Er will sein Privatleben einfach vor der Musik schützen, wäre die naheliegende Erklärung. Seine eigene geht sogar noch einen Schritt weiter: Jerome will die Musik auch vor seinem Privatleben schützen.
Alter unbekannt
„Ich denke, dass zu viel Wissen über einen Künstler die Natur seiner Musik zerstören kann. Das, was man auf Musiker projiziert, entspricht oftmals nicht dem, was sie eigentlich sind“, erklärt er. Darüber, wer er eigentlich ist, schweigt Aaron Jerome höflich. Sein Alter ist unbekannt. Er hält sein Privatleben aber auch nicht zwanghaft geheim.
Auf „If It Happens“ angesprochen, einen sehr ruhigen Track, dessen emotionale Wucht einen schier lahmlegt, erklärt Jerome, dass er ihn spontan mit Sampha geschrieben habe. Er saß dafür am Flügel, und Sampha sang ins Mikrofon. Sie hätten das Lied in einem Take aufgenommen, sagt er und hält einen Moment inne. „Zwei Wochen vor der Session ist mein Bruder gestorben. Ehrlich gesagt, war es ein Scheißjahr, er litt seit fünf Jahren an Krebs, dann starb er, und ich saß zwei Wochen danach im Studio und hatte einen Haufen Emotionen in mir. ’If It Happens‘ war offensichtlich ein Ergebnis davon“, sagt er, ohne dabei sein Lächeln zu verlieren.
Dass die Ballade seine Fans unerwartet treffen könnte, bereitet ihm keine Sorgen. „Es gibt in meiner Musik keine Struktur, die ich erhalten und immer neu formulieren muss. Ich muss nichts aneinanderpappen, sodass es Sinn ergibt von Anfang bis Ende“, sagt er. Dass er diese künstlerische Freiheit nur hat, weil Musik heute nicht mehr auf Albumlänge als Ganzes gebündelt konsumiert werden muss, glaubt er aber nicht: „So viel Verschiedenes zu machen, ist keine Freiheit, die mir irgendjemand geben muss. Als Künstler nehme ich mir diese Freiheit einfach.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo