: Post von Hank
Morgen wäre der Schriftsteller Charles Bukowski 80 Jahre alt geworden. In Deutschland ist er noch als Briefeschreiber zu entdecken – und als Zeichnervon FALKO HENNIG
Einem breiten Publikum ist Charles Bukowski (1920 – 1994) als Dichter, mehr noch als Autor von Kurzgeschichten und Romanen bekannt. Konnte seine Prosa in den 70er-Jahren noch so manchen Leser schockieren, scheint die Figur des Hank Chinaski verglichen mit manchen Richtungen der amerikanischen Kleinzeitschriften-Szene („little mags“) der letzten Jahre eher als der milde lächelnde Großvater, der, sanft in einem Schaukelstuhl wiegend, eine Decke über den Beinen, Schnurren erzählt aus der guten alten Zeit von relativ freier Liebe vor Aids, als Männer noch Whisky trinken konnten und Unmengen von Bier, ohne sich lächerlich zu machen.
Doch nicht Bukowski hat sich verändert, sondern die Zeit. Fast unschuldig empfindet man Bukowskis Sexszenen, vergleicht man sie mit dem Aufgebot an erigierten Schwänzen, wackelnden Riesentitten und Perversionen aller Art, in dem sich der Mensch des beginnenden 21. Jahrhunderts zu bewegen hat, als wäre es seine natürliche Umgebung. Die sexuelle Revolution von Flower-Power und freier Liebe hatte eine damals schwer zu erahnende Allgegenwart von weicher und harter Pornografie zur Folge, in der Bukowskis literarische Kopulationen wie Untertreibung wirken.
Charles Bukowski ist ein Autor des 20. Jahrhunderts, aber es gibt einige Indizien, dass er auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in der Literatur mitmischen wird. Dabei gibt es bei Bukowskis Kurzgeschichten und Romanen bedenkenswerte Argumente, sie nicht in ihrer Gesamtheit als ins Pantheon der Literatur gehörig zu betrachten. Doch strebte Bukowski selber die Hohetempel der Kultur auch nicht allzu sehr an, Universitäten, Schulen und Museen waren ihm eher suspekt im Vergleich zu den Bars, möblierten Zimmern, Reihenhäusern und Pferderennbahnen. Vielleicht wünschte er sich auch noch in Bibliotheken wie in die L. A. Public Library, eine Institution, die für seine Jugend ähnlich wichtig war wie das Trinken. Frauen kamen erst später.
Doch gibt es andere Facetten des selbst ernannten „dirty old man“, die noch recht wenig beachtet sind und bei genauem Blick und Interesse ergiebiges Material liefern. So ist Charles Bukowski als Briefeschreiber in Deutschland noch zu entdecken, begrüßt werden muss deshalb die für Frühjahr angekündigte Edition. Schön auch, dass Carl Weissner die Übersetzung erledigt, der Freund, Agent und langjährige Briefpartner. Einige wenige Charles-Bukowski-Briefe waren schon auf Deutsch zu lesen, beim Augsburger Maro wie beim Riedstadter Ariel Verlag konnten Bukowski Freaks bereits einen Eindruck davon gewinnen. Denn, um es zusammenzufassen, Bukowskis beste Briefe sprengen jede Form, sowohl substanziell als auch grafisch.
Während sie inhaltlich Gefühl und Leid manchmal so nahe bringen wie seine besten Gedichte, scheinen sie von der Form über weite Passagen eher als Kurzgeschichten, Gedichte oder Essays. Auch von ihrem Aussehen sind sie Bukowskis Briefe oft ungewöhnlich und könnten wahlweise als Collage, Gemälde oder Cartoons gerahmt an der Wand hängen. Die Schreiben sind von in groben Strichen gezeichneten Hunden, Katzen, Vögeln bevölkert und von Bukowski selber und seinen Angehörigen als Comicfiguren. Wie kam Bukowski nun auf die Idee, so hemmungslos in seinen Briefen herumzukritzeln?
Das ist also eine weitere Entdeckung, die noch zu unternehmen ist nach Bukowski als Briefeschreiber: Bukowski als Comiczeichner. Bei Bukowskis Zeichnungen, manche wollen sie auch eher als Drudel eingeordnet haben, ist sein Vorbild ohne jeden Zweifel James Thurber, an dessen Kunstfertigkeit er jedoch nie heranreichte. Unwahrscheinlich, dass Bukowski allen, die ihm schrieben, geantwortet hat, aber doch einer Menge Menschen. Nicht nur wichtigen Fernsehleuten wie Georg Stefan Troller, sondern auch vielen Unbekannten.
Und eines der großen Rätsel wird bleiben, wie Bukowski es geschafft hat, zu trinken, wie er es tat, dabei Gedichte, Storys und Romane zu schreiben und eben diese riesigen, nur zu schätzenden Mengen an gehaltvollen Briefen. Ein Kenner äußerte den Verdacht, dass man selbst auf einer kleinen Südseeinsel, erwähnte man dort Bukowski, noch Leute finden wird, die aus ihren Hütten die in allen Regenbogenfarben bemalten Schreiben hervorholen: „I got a letter by Hank too!“
Falko Hennig ist Vorsitzender der Charles-Bukowski-Gesellschaft (www.Bukowski-gesellschaft.de).
Charles Bukowskis Übersetzer Carl Weissner liest morgen Abend, 21 Uhr, im Roten Salon der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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