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Post-Boheme-Bourgeois

Neil Hannon, Sänger und Mastermind der britischen Band The Divine Comedy, gefällt sich als Mitglied eines symphonischen Septetts. Heute spielt er in der Columbiahalle

Der Bobo, der „bourgeoise Bohemien“, ist das neue soziale Phänomen in den USA. Gemeint sind Leute, die dem Bürgertum entstammen und gleichzeitig den antibürgerlichen Stil der Intellektuellen pflegen, also Latte Macchiato trinken, minimalistischen Stil goutieren und Kerouac kennen. Was aber in Amerika für Aufmerksamkeit von Times bis Newsweek reicht, ist dem kulturbeflissenen Europäer höchstens ein kritisches Augenbrauenrunzeln wert: Wir kennen schließlich schon die Pobobos, die Post-Boheme-Bourgeoisie.

Neil Hannon, Sänger und Mastermind der britischen Band The Divine Comedy, ist so ein Vorzeige-Pobobo. Groß geworden als Sohn des Bischofs von Clogher in Nordirland, ist er ein echtes Kind der britischen Bourgeoisie. Mit 19 ging er nach London, um eine Ein-Mann-Band zu gründen. Allein mit der an Dante angelehnten Wahl seines Bandnamens bewies er bürgerliches Bildungsbewusstsein. Fortan gab er sich als Schöngeist, prahlte in dem Song „The Booklovers“ mit seiner Belesenheit, indem er sechzig Lieblingsautoren aufzählte, und benutzte immer wieder die Literatur als Inspirationsquelle für seine Songs. Zu seinem ersten größeren Erfolg im Gefolge von Britpop, Pulp und Blur wurde schließlich ein ganzes Album über die Abenteuer von Giaccomo Casanova.

Trotz Bildungsbürgerattitüden blieb der blonde Neil der Boheme treu. Mit Anzug, Sonnenbrille und Modfrisur kommunizierte er seine Standpunkte ganz in der Tradition britischer Subkulturen und stellte die Bourgeoisie bloß, indem er beispielsweise über Dramen und Absurditäten von „Middle Class Heroes“ nach ihrem Universitätsabschluss und dem ersten schlecht bezahlten Job in der Werbung sang.

Man könnte die Musik von Divine Comedy als Kammerpop bezeichnen. Sie ist aufwändig arrangiert und mit üppigem Orchestereinsatz und vielen Melodien, ganz bewusst an die Musik von Brian Wilson oder dem enigmatischen Komponisten Scott Walker angelehnt. Neils voluminöse Stimme, sein sexy Vibrato und Auftritte mit einem 30-köpfigen Ensemble sorgen für zusätzlichen Glamour.

Inzwischen aber ist der Post-Boheme-Bourgeois Neil fast 30. Er posiert nun nicht mehr als einsamer Denker im Anzug, sondern mit fast kinnlangen Haaren als Mitglied eines symphonischen Septetts, das die Divine Comedy als Gruppe nun ist. Auch vom übermäßigen Pathos seiner Songs hat Hannon sich inzwischen verabschiedet: Er klingt jetzt eher nach Songschreibern wie Stephen Merritt von The Magnetic Fields. (Sein „Perfect Lovesong“ auf dem neuen Album „Regeneration“ könnte der siebzigste von Merritts „69 Lovesongs“ sein, bedachtsam arrangierte Liebeserklärung, die er ist.)

Mit Nigel Godrich war auch erstmals ein richtig guter Produzent (Beck, Travis) dabei und verhalf dem Pobobotum zum Ausdruck: Man kennt seine Stärken und muss sich nicht mehr aufspielen. Gereift und regeneriert wird genossen und die Weisheit im Alltag gesucht. Sollen doch die Amis versuchen, jemanden mit Caffè Latte zu beeindrucken.

DANIEL BOESE

The Divine Comedy spielen heute mit Mo Solid Gold und N.O.H.A.; Rolling Stone Roadshow, ab 19 Uhr 30 (!), Columbiahalle, Columbiadamm 8-11, Tempelhof

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