Portrait: Mörderpolizist ohne Reue
Kriminalpolizist Karl-Heinz Kurras war, was Fromm und Adorno einen „autoritären Charakter“ nannten. 1927 in Ostpreußen als Sohn eines Polizisten geboren, der im Krieg fiel, meldete er sich noch 1944 freiwillig zur Wehrmacht, wurde verwundet – blieb aber Waffennarr: 1946 landete er wegen einer versteckten Pistole in einem sowjetischen Lager. 1950 fing Kurras dann bei der Westberliner Kripo an, 1955 begann er zudem als Spitzel für die Ostberliner Stasi zu arbeiten. Dass er für den Verrat von Dienstgeheimnisse monatlich mehrere hundert D-Mark kassierte, wurde erst 2007 bekannt.
Am 2. Juni 1967 schoss Kurras bei einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des Schahs von Persien dem Studenten Benno Ohnesorg gezielt von hinten in den Kopf. Das wissen wir heute. Damals hieß es: Mord im Affekt. Kurras fabulierte von Demonstranten, die ihn zu Boden gerissen und mit Messern bedroht hätten. Alles Lüge, doch sein Vorgesetzter und andere Kollegen halfen beim Vertuschen: Er wurde nur wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, zweimal freigesprochen, seine Suspendierung vom Polizeidienst wieder aufgehoben. Die Westberliner Polizeiführung bestand damals aus Männern der Kriegs- und Nazigeneration: Ordnungsliebende, autoritäre, neurotische Charaktere, denen die aufbegehrenden Studenten ein Gräuel waren.
Kurras Schuss war das Fanal für die Studentenbewegung, die 1968 ihren Höhepunkt erreichte. So gesehen leitete Ohnesorgs Mörder das Ende der Nachkriegsgeschichte Westdeutschlands ein: den Beginn einer schleichenden Kulturrevolution, dank der die Bundesrepublik langsam zu einem modernen und liberalen Land wurde.
Damals aber bekam der Mörder seine Dienstpistole zurück und zeigte niemals Reue. Er wurde sogar zum Kriminaloberkommissar befördert. Nach der Pensionierung 1987 bis zu seinem Tod 2014 bezog er eine Beamtenpension. Dem Berliner Journalisten Uwe Soukup erklärte Kurras noch: „Wer mich angreift, wird vernichtet. Aus, Feierabend.“Michael Sontheimer
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