Portrait eines Quotengaranten: Der Fluch eines Fernsehgesichts
Florian Martens spielt seit 15 Jahren in "Ein starkes Team". Seine Wandlungsfähigkeit interessiert immer weniger. Am Samstag, um 20.15, ist er im ZDF in der Folge Dschungelkampf zu sehen.
Es gibt genau drei Orte auf dieser Welt, an denen Florian Martens freiwillig leben würde: Mitte, Pankow und Prenzlauer Berg. "Ich muss immer da leben, wo ich Erinnerungen habe, wo ich Wurzeln habe", sagt er. In Berlin-Mitte wurde Martens 1958 geboren, und dort wohnte er später fast 20 Jahre in ein und derselben Wohnung in den Hackeschen Höfen, über ihm der Theaterregisseur Frank Castorf. Doch dann kam die Wende und mit ihr der Touristen-Tsunami. Also ist er nach Pankow gezogen, in eine luftige 200-Quadratmeter-Altbauwohnung, an der er als Kind mindestens 2.700-mal vorbeigelaufen war. Das hat Martens, der ein lausiger Schüler war, "aus Faulheit, nicht aus Blödheit" mal ausgerechnet. Sie lag auf seinem Schulweg. Und aus Prenzlauer Berg stammt die Familie seiner Mutter Ingrid Rentsch, ebenfalls Schauspielerin, wie auch sein Vater Wolfgang Kieling. Martens Großvater mütterlicherseits praktizierte als Zahnarzt im Bötzowviertel. Das emaillierte Praxisschild lehnt in seiner Küche an der Wand, gleich hinter der Spüle. Gegenwärtiger kann Familiengeschichte kaum sein.
Florian Martens sagt auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR noch "bei uns" und "drüben", ohne dabei unangenehm gestrig zu wirken. "Genau genommen habe ich sogar die ersten beiden Jahre meines Lebens in Westberlin verbracht", räumt er ein. Seine Mutter, obwohl an der Volksbühne im Ostteil der Stadt engagiert, wohnte bis zum Mauerbau in Charlottenburg und entschied sich dann, gegen den Strom in die DDR zu ziehen. "Ich weiß, man muss sich solche Aussagen gut überlegen, aber ich stehe dazu, dass ich meiner Mutter für diesen Schritt heute noch dankbar bin", sagt der Sohn - und natürlich sagt er "jut" statt "gut", aber das sieht geschrieben ein bisschen affig aus. Der Meinung ist auch Martens, und deswegen hat er den Drehbuchautoren der ZDF-Krimireihe "Ein starkes Team", für die er zu seiner eigenen Verwunderung seit 15 Jahren und 44 Filmen vor der Kamera steht, gesagt: "Schreibt Hochdeutsch. Ick berlina von alleene."
In seinen Erzählungen ist Martens ein wilder Jugendlicher, der als Erster in seiner Klasse geraucht, getrunken und geknutscht hat. "Ich war ein schönes schlechtes Vorbild, habe alles mitgenommen, alles ausprobiert", sagt er und erinnert sich daran, dass er sich damals als begeisterter Reiter mit Berufswunsch Jockey nachts in den Tierpark Friedrichsfelde geschlichen hat, zum Wildpferderodeo. "Wer am längsten draufbleiben konnte, hatte gewonnen", sagt Martens. "Das würde ich mich heute überhaupt nicht mehr trauen. Ich hätte mir auch das Genick brechen oder totgetreten werden können." Auch mit Drogen hat er experimentiert, aber weil er ein robuster Typ ist und es in der DDR nichts Härteres gab als 97-prozentigen Primasprit, gemischt mit einer Faustan, wie Valiumtabletten hießen, und gestreckt mit ein paar Schlucken Cola, hat Martens auch das überlebt - "richtige Drogen gab es ja zum Glück auch nicht", sagt Martens heute. Und damit wären wir wieder bei seiner merkwürdigen Aussage von vorhin. "Wenn meine Mutter nicht in die DDR gegangen wäre, weiß ich nicht, ob ich hier noch sitzen würde", sagt er. Von den früheren Exzessen ist ihm nur das Rauchen geblieben, und rauchen tut Florian Martens immer und überall, sogar unter der Dusche - "aber nur, wenn meine Kinder nicht da sind."
Am Sonntag hat Martens seinen 51. Geburtstag gefeiert - wie immer mit seiner etwa 15-köpfigen Clique plus Anhang. Einladungen bedarf es dafür nicht. "Die kommen, und ich bin immer da. Wenn sie eine Nachricht kriegen, dann ist das eine Absage. Kam aber in den letzten 35 Jahren nur einmal vor", sagt er nicht ohne Stolz. Seine Clique ist ihm heilig wie sonst nur seine beiden Töchter aus früheren Beziehungen. So richtig gemerkt habe er das aber erst nach der Wende, als er mitbekommen hat, dass solch ein Zusammenhalt über Jahrzehnte nicht selbstverständlich ist. Ein paar Freunde, die von Hartz IV leben, unterstützt Martens sogar ab und zu finanziell. "Wenn wir drüben aufgewachsen wären: ob wir uns dann nicht längst gegenseitig aus den Augen verloren hätten", fragt er sich manchmal.
Doch das System verteidigt Martens nicht eine Sekunde. Er hat seine eher harmlose Stasiakte gelesen, 100 Seiten stark, kennt die Namen der Spitzel, hat sich aber entschlossen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. "Das Paradoxe ist doch: Wenn ich die damit konfrontieren würde, würden die mir nicht glauben, dass ich ihnen glaube, dass sie mich nicht denunziert haben."
Auch in Florian Martens Karriere, die nach grässlichen Jahren auf dem Bau und beim Militär 1982 mit seiner Aufnahme an der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule begann, hallt die DDR nach - unerwartet laut sogar. Genau wie seine Sehnsucht nach Beständigkeit in einem doch eher für das Gegenteil bekannten Beruf. "Ich bin ein ziemlich treuer Typ", sagt Martens über sich selbst.
Auch deswegen gibt er schon seit einer halben Ewigkeit an der Seite von Maja Maranow, "mit der ich ja auch mal privat zu tun hatte", das "Raubein mit Herz" (ZDF) Otto Garber in "Ein starkes Team", der Reihe, die ein bisschen im Schatten der ernsthafteren "Bella Block" und anderen Samstagabendkrimis stand und steht. "Ich genieße es sehr, in einem so vertrauten Rahmen arbeiten zu können", sagt er. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, hat sich Martens seine Karriere doch ursprünglich mal anders vorgestellt: "Als unbekannter Theaterschauspieler von der Volksbühne bin ich nach der Wende mit vier Kinofilmen hintereinander im Westen durchgestartet, von denen zwei richtig gut waren. Da dachte ich noch: Es geht ganz nach oben."
Doch weil sich "der sehr bequeme Mensch" Martens zu sehr auf den Zufall verließ, blieb der große Erfolg aus. Stattdessen sah er Kollegen wie Heino Ferch und Sebastian Koch, mit denen er im ersten "Starken Team" noch auf Augenhöhe gespielt hatte, an sich vorbeiziehen: "Ich war immer nur für die nächste Rolle ehrgeizig. Karriereplanung war nie mein Ding. Das habe ich nie gelernt. Im Osten gab es ja nicht so viele Karrieren, die man hätte machen können." Hinzu kommt, dass er "immer wieder interessante internationale Angebote absagen" musste, "weil ich wusste, dass ich die Dialogszenen auf Englisch nicht packen würde. Ich muss schon denken, was ich sage." Florian Martens weiß, dass er Englisch noch lernen könnte, aber auch, dass er es trotz Sprachschule gleich um die Ecke nicht tun wird - die Bequemlichkeit.
Je länger Martens in "Ein starkes Team" spielt, desto mehr wird er auf diese eine Rolle reduziert. Einerseits sichert sie seinen Lebensunterhalt und strengt ihn nicht übermäßig an, weil er in keiner anderen Rolle so bei sich ist, bis zum von Mutti gehäkelten Glatzenwärmer, andererseits macht sie ihn zum "Fernsehgesicht", zu jemandem, den man - und das hat man ihm sogar schon ins Gesicht gesagt - wegen seiner Popularität engagiert und nicht wegen seines Talents. So vorsichtig Martens mit Eigenlob ist: "Das Einzige, wovon ich in beruflicher Hinsicht überzeugt bin, ist, dass ich schauspielerisch vielseitig bin."
Dass das Interesse an seiner Wandlungsfähigkeit - in Dieter Wedels "Der König von St. Pauli" spielte er zum Beispiel eine Transe - stetig abnimmt, hat Martens gemerkt, als man seiner Figur bei den Dreharbeiten zu einer Komödie vor ein paar Jahren erst den Schnurrbart genommen hat und dann auch noch die Perücke kassieren wollte - mit der Begründung, dass ihn, den Quotengaranten, damit ja kein Mensch mehr erkennt. "Ich war sehr gekränkt", sagt Martens, "hätte die Rolle fast auf den letzten Pfiff abgelehnt. Mittlerweile denke ich: Heutzutage ist das wahrscheinlich ein Kompliment."
"Ein starkes Team – Dschungelkampf", Samstag, den 2.1.2010, 20.15, ZDF
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